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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz
Autoren: Helmut Schmidt
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unterbrochen; einzelne Kapitel wurden umgeschrieben. Für Kritik und Anregungen habe ich meiner Frau Loki zu danken sowie Jens Fischer, Thomas Karlauf, Birgit Krüger-Penski, Heike Lemke, Ruth Loah, Marcela Masiarik, Rosemarie Niemeier,Armin Rolfink und Theo Sommer.
     
    Helmut Schmidt
    Hamburg, im Juli 2008

I
ERFAHRUNGEN VERÄNDERN
MASSSTÄBE

Freunde und verläßliche Partner
    In der Politik hat man es mit Menschen zu tun. Manche von ihnen sind bedeutend und treffen wichtige Entscheidungen. Einige halten sich nur für bedeutend, treffen aber gleichwohl wichtige Entscheidungen. Einige stehen zu ihrem Wort, andere nicht. Manche reden heute so, aber morgen reden sie anders. Wieder andere wollen ihr Versprechen halten, können es aber nicht erfüllen; denn jeder Politiker hat zu Hause eine Basis, bei der er zuweilen Rückversicherung nötig hat – in seinem Wahlkreis, in seiner Partei, in seinem Staat. In der Demokratie ist kaum jemals ein Politiker in seinen Entschlüssen völlig frei. Immerhin habe ich es sowohl in der Innen- als auch in der auswärtigen Politik mit einer Reihe von Politikern zu tun gehabt, auf deren Wort ich mich verlassen konnte – gar nicht anders als im täglichen Leben auch.
    In der eigenen Partei trifft man naturgemäß mehr Frauen und Männer, deren Urteil man vertraut, auf deren Wort man baut. An erster Stelle will ich hier meinen Kabinettskollegen Hans-Jochen Vogel nennen. Schon in den späten sechziger Jahren sind mir Vogels charakterliche Qualitäten und seine Fähigkeiten als herausragend erschienen. »Macht muß dienen«, hat er einmal gesagt, und danach hat er stets gelebt und gehandelt. Weil er selbst das tat, was er von anderen forderte, ist ihm eine ungewöhnlich hohe Glaubwürdigkeit zugewachsen. Für mich war er ein wichtiger persönlicher Ratgeber, besonders in den schwierigen Zeiten des RAF-Terrorismus. Als unverzichtbare Instanz achtete er strikt darauf, daß keiner unserer Schritte den Rechtsstaat beschädigen konnte. Ich wußte, daß ich seiner Nachdenklichkeit und seiner stringenten Klugheit voll vertrauen durfte.
    Ebenso galt das für Herbert Wehner. Ich habe Wehner in den späten vierziger Jahren in Hamburg kennengelernt, etwas näher dann ab 1953, als ich erstmals im Bundestag saß. Seit dieser Zeit habe ich ihn fast wöchentlich getroffen. Man merkte ihm an, daß er eine schwierige und möglicherweise auch schuldbelastete persönliche Geschichte hinter sich hatte. Die Folge war eine zerklüftete Persönlichkeitsstruktur. Aber Wehner hatte Autorität, ich möchte sie die Autorität des gebeutelten Lebens nennen. Sein Herz hing elementar an der Sache der Arbeiter. Der Artikel 20 des Grundgesetzes, der vom »demokratischen und sozialen Bundesstaat« spricht, war ihm zum Kern seiner eigenen Politik geworden. Wehner war ein strenger Moralist. Sein sehr bescheidener persönlicher Lebensstil entsprach dieser Moralität ebenso wie seine im verborgenen ausgeübte vielfältige Hilfsbereitschaft.
    Wehner wollte Staat und Gesellschaft menschlicher machen. Deshalb setzte er alles daran, die Sozialdemokratie als regierungsfähig zu erweisen und an die Regierung zu bringen. 1969, am Ende der Großen Koalition, konnte er zufrieden sein; die führenden Sozialdemokraten hatten ihre Tauglichkeit als Regierende wirksam unter Beweis gestellt. Wehner war in diesen drei Jahren Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen gewesen, ein Amt, das er sicherlich gern ausgeübt hat, zumal er auf diesem Posten ungezählten Menschen helfen konnte, die wegen der Zweiteilung Deutschlands in Not geraten waren. Gleichwohl hat er 1969 zugestimmt, sein Ministeramt aufzugeben und als Vorsitzender in die Bundestagsfraktion zurückzukehren. Ich hatte diesen Wechsel, der für Wehner eine ziemliche Zumutung gewesen ist, zur Bedingung für die Übernahme des Verteidigungsministeriums gemacht, zu der Brandt und Wehner mich drängten. Ich wußte, in meiner Partei würden sich alsbald linke Kräfte regen und mir Knüppel zwischen die Beine werfen. Ich wußte aber auch, Herbert Wehner als Fraktionsvorsitzender würde mir den Rücken freihalten. Und das hat er getan.
    Während der dreizehn Jahre der sozialliberalen Koalition habe ich mich auf Wehner verlassen können, trotz erheblicher Unterschiede in unseren persönlichen Vorgeschichten, im Urteil und im Temperament. Wir waren weder enge persönliche Freunde, noch haben wir in Fragen des persönlichen Stils oder der Wortwahl übereingestimmt – aber darauf kam es gar
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