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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen
Autoren: Rebecca Makkai
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ich sagte: ›Oh, ich bin mit Frettchen aufgewachsen.‹ Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter damit beschäftigt, das Magazin durchzublättern. Also konnte ich ihm zublinzeln, und da fiel bei ihm der Groschen, ich konnte sehen, wie er alles begriff, und da gab ich ihm sein Exemplar. ›Lies das‹, sagte ich, ›vielleicht findest du ja das eine oder andere, mit dem du etwas anfangen kannst. Lies eine Weile darin, wenn du allein bist, und schau, ob dich der Inhalt anspricht.‹ Er stopfte das Magazin unter sein Hemd, offenbar wollte er nicht, dass seine Mutter etwas mitbekam. Nebenbei gesagt, diese Frau ist vollkommen magersüchtig.«
    Tim drehte noch immer seine Kreise um den Couchtisch, und ich saß noch immer da, zitternd, und beobachtete dieses eigenartige Aufziehspielzeug, das ich in Bewegung gesetzt hatte. »Erzähl mir, wie das Haus ausgesehen hat«, sagte ich.
    »Normal, würde ich sagen. Es gab keine großen Kruzifixe oder so, wenn es das ist, was du meinst. Es war sehr, sehr sauber. Im Wohnzimmer konnte ich ein Klavier sehen. Es war alles im Landhausstil, aber irgendwie kitschig. Eines dieser Häuser, in denen man Gobelinkissen mit aufgestickten Segelbooten erwartet. Nicht dass ich welche gesehen hätte.«
    Die Vorstellung, dass dort alles normal war, tröstete mich irgendwie. Oder vielleicht war es auch nur gut, sich überhaupt etwas ausmalen zu können. »Und wie ging es weiter?«, fragte ich.
    »Also, hör zu: Ich sage: ›Wollen Sie das Abonnement jetzt schon unterschreiben oder möchten Sie lieber die Anmeldekarte im Heft ausfüllen?‹ Die Mutter ist noch mit Ausreden beschäftigt, sagt, sie müsse es sich noch genauer anschauen, da sagt der Junge: ›Mama, kann ich schon nach oben gehen und es lesen?‹ Ich hatte das Gefühl, dass sie lieber nein gesagt hätte, weil sie das Magazin vorher noch eingehender prüfen wollte, aber ich stand da und machte ein so hoffnungsvolles Gesicht, dass sie ja sagte und mich zum Ausgang begleitete. Der Junge war schon oben, bevor ich die Tür erreichte. Ich wette, er ist hinaufgerast und hat seine Tür abgeschlossen. Wenn er schlau ist.« Er blieb stehen und breitete die Arme aus. »Also, habe ich es gut gemacht?«
    Vermutlich erwartete er Applaus, aber ich stand auf und umarmte ihn. »Du bist unglaublich. Und du wirst niemals irgendjemandem etwas davon erzählen.«
    Nachdem Tim gegangen war, schnappte ich mir in meiner Benommenheit noch ein paar Sachen und ging zum Auto. Als ich losfuhr, begann es zu regnen. Ich fuhr noch einmal am Haus der Drakes vorbei, hupte dreimal und verließ Hannibal für immer. Ich stellte mir Ian oben in seinem Zimmer vor, wie er im Magazin blätterte. Er würde meine Handschrift sofort erkennen.
    Was ich in meiner ausgeräumten Wohnung erstellt hatte, waren Leselisten:
    »Bücher, die du lesen sollst, wenn du elf bist«, das war die erste Liste. Sie begann mit Danny oder die Fasanenjagd , diesem wunderbaren Lobgesang auf zivilen Ungehorsam, und enthielt die Oz-Reihe (»Pass auf, dass sie wirklich von L. Frank Baum sind«, hatte ich geschrieben, »nicht nur von Frank!«) sowie zehn weitere Bücher, bei denen ich den Gedanken nicht ertragen konnte, dass er sie nicht lesen würde – Bücher, die ich ihm in die Hand gedrückt hätte, wenn ich noch seine Bibliothekarin wäre.
    Die Liste »Bücher, die du lesen sollst, wenn du zwölf bist« begann mit Hüter der Erinnerung und Der Goldene Kompass und endete mit Herr der Fliegen.
    Es fiel mir schwer, mir einen vierzehnjährigen Ian vorzustellen, oder einen mit sechzehn, doch während sich die Listen füllten, konnte ich sehen, wie er sich eine Meinung bildete, und ich konnte sehen, dass ein fünfzehnjähriger Ian, der sich gerade in Der Fänger im Roggen verliebte, in der Lage wäre, als Nächstes Ein anderer Frieden und Was sie trugen zu lesen sowie große Mengen von Whitman.
    Dem achtzehnjährigen Ian schlug ich vor, David Copperfield zu lesen (»Ob ich schließlich der Held meines eigenen Lebens werde, oder ob diese Stelle jemand anderes einnehmen wird, das sollen diese Blätter zeigen«), und ich riet ihm, er solle Middlesex lesen und A. E. Housman und Jeanette Winterson.
    In diesen späteren Listen hätte ich ihm gerne Bücher empfohlen, die eine direktere Hilfe geben könnten – Bücher, die einem Sechzehnjährigen zeigen, wie er mit einem Vater fertig wird, der ihn rauswerfen möchte, oder mit einer Mutter, die darauf beharrt, er würde in der Hölle enden –, aber alles, was ich
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