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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
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dass diese Sache sich aufklärt. Wenn jemand nach einem Zoobesuch vermisst wird, ist das keine gute Publicity für uns.«
    »Es ist nur eine Vermutung, dass der Vermisste zuletzt hier war«, wirft der Typ ein.
    »Von der ich hoffe, dass sie sich nicht bestätigt«, erwidert der Zoodirektor, während er sich abwendet, um in Richtung der Cafeteria davonzugehen.
    »Wo steckst du denn?«, beschwert sich Rufus. »Ich laufe hier durch die Gegend, halte lange Reden und stelle erst beim Westeingang fest, dass du längst nicht mehr neben mir bist.«
    Ich antworte nicht. Stattdessen beobachte ich den Typen mit dem Leinensakko. Der hat gerade etwas in einem kleinen, schwarzen Buch notiert und packt nun Büchlein und Kugelschreiber wieder weg.
    Rufus folgt meinem Blick. »Was ist los?«
    »Weiß ich noch nicht«, erwidere ich. »Aber ich habe da so einen Verdacht.«
    Der Typ zieht eine Packung Zigaretten hervor.
    »Kannst du nicht lesen?«, blafft Rufus ihn an. »Hier ist Rauchen verboten!«
    Besucher beschimpfen ist eines unserer liebsten Spiele gegen Langeweile. Wir werfen ihnen die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf, und zum Dank lächeln sie uns an und sagen: »Hör mal, wie süß der quiekt!« Kein Wunder, Erdmännisch ist eine wesentlich komplexere Sprache als beispielsweise Deutsch.
    Erwartungsgemäß ignoriert der Schmuddelige Rufus’ Bemerkung. Stattdessen öffnet er die Zigarettenpackung, steckt seine Nase hinein und atmet genüsslich den Tabakgeruch ein.
    »Hast du nicht gehört, was mein Bruder gesagt hat?«, rufe ich. »Muss ich erst rauskommen? Willst du unbedingt was auf die Fresse?«
    »Du, der raucht gar nicht wirklich«, wirft Rufus beschwichtigend ein.
    »Mir doch egal«, erwidere ich.
    Tatsächlich steckt der Typ die Zigarettenschachtel wieder ein und zieht eine flache, silbern schimmernde Flasche aus der Innentasche seines Sakkos.
    Wir strecken uns. Jetzt wird es spannend. Mirko, der Pfleger im Gnugehege, hat auch so eine Flasche. Wenn er daraus trinkt, weiß man nie, was als Nächstes passiert. Manchmal beginnt er zu weinen, und dann erzählt er Geschichten von einer Frau, die er mal gekannt hat. Oder er singt russische Lieder. Dann wieder streichelt er stundenlang das Gnu Mathilda und sagt so Sachen wie: »Du bist die Beste. Du würdest mich nie enttäuschen. Nur du verstehst mich.«
    In Wirklichkeit kann Mathilda Mirko nicht ausstehen. »Wenn der Kerl mich noch einmal anfasst, dann beiße ich ihm einen Finger ab«, hat sie kürzlich gedroht.
    Das Leinensakko nimmt einen großen Schluck aus seiner Flasche, derweil Rufus mir auf die Schulter tippt. »Was war denn nun dein Verdacht?«
    »Der Typ da hat dem Zoodirektor ein Foto von einem alten Mann gegeben, der offenbar vermisst wird«, erkläre ich. »Ich dachte, das könnte mit den Ereignissen von letzter Nacht zu tun haben.«
    Der Kerl setzt seine Silberflasche ab und schaut sich leicht verwirrt um. Muss ein teuflisches Zeug sein – wenn man Mathilda glaubt. Mirko hat ihr mal einen Schluck gegeben. Danach hat sie sich kurzzeitig großartig gefühlt, um anschließend drei Tage lang unter Kopfschmerzen zu leiden, die bis in die Geweihspitzen ausstrahlten.
    Wieder nimmt der Typ einen kräftigen Zug. Wieder schaut er sich um. Schließlich bleibt sein Blick auf mir und Rufus haften.
    »Was ist denn mit dem los?«, überlege ich.
    Rufus zuckt mit den Schultern. »Frag ihn doch.«
    »Hey! Penner! Was glotzt ’n du so doof?«
    Der Schmuddelige rührt sich nicht. Irritiert betrachtet er die Flasche in seiner Hand, schaut wieder zu uns und nimmt erneut einen Schluck.
    »Was ist los, Trantüte?«, lege ich nach. »Hör auf, uns beide so anzustarren, sonst komme ich raus und zieh dir die Falten aus deinem Sakko!«
    Rufus muss schmunzeln. Mir dagegen wird die Sache langsam langweilig. Ich hatte gedacht, der Kerl wäre interessant.
    »Lass uns frühstücken«, sage ich zu Rufus und will mich gerade abwenden, als der Typ sich gegen das Geländer lehnt, die Sonnenbrille abnimmt und sagt: »Was genau
ist
denn gestern Nacht hier passiert?«

Kapitel 2
    Phil. So heißt er. Der Typ mit dem Leinensakko und der Sonnenbrille. Und nach ein paar Schlucken Single Malt Whisky versteht er offenbar Erdmännisch. Höchst sonderbar, die Angelegenheit, wie Rufus meint. Krasser Shit, wie ich finde. Schließlich hat es so etwas noch nie gegeben, jedenfalls nicht, seit unsere Sippe unter Ururgroßvater Chester aus der Savanne verschleppt und hier im Zoo angesiedelt wurde. Beinahe
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