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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
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genauso krass finde ich übrigens die Tatsache, dass Phil Privatdetektiv ist. Und dass er gerade an einem Fall arbeitet.
    Von den anderen Clanmitgliedern weiß es keiner. Nicht einmal Rufus habe ich davon erzählt. Deshalb ist die folgende Information streng vertraulich. Ich korrigiere: streng
stens
vertraulich! Die Sache ist die: Privatdetektiv zu sein ist mein Traumberuf, schon immer. Seit ich denken kann, will ich Privatdetektiv werden. Im Grunde, das wird jedem einleuchten, gibt es keinen Job, für den ein Erdmännchen besser geeignet ist. Überwachen und Observieren gehören quasi zu unserer genetischen Grundausstattung. Gleiches gilt für Spurenlesen und Herumschnüffeln. Ich bin der geborene Schnüffler. Nur dass meine Fähigkeiten hier im Zoo völlig verkannt werden. Besser gesagt: wurden. Denn heute ist Phil aufgetaucht. Und so, wie es aussieht, braucht er unsere Hilfe.
    Es geht um Hanno von Sieversdorf. Phil sprach den Namen aus, als würde der Typ seit Jahrzehnten jede Woche mit Pa zusammen eine Tüte Regenwürmer leermachen. Dabei ist Hanno von Sieversdorf alleiniger geschäftsführender Gesellschafter der Sieversdorf GmbH, deren Logo praktisch jede zweite Kopfschmerzpackung der Republik ziert. Der Typ hat also mehr Euros im Keller als wir Sandkörner im Gehege. Rufus meinte ja, er hätte den Namen schon einmal in der Zeitung gelesen, aber mein kleiner Bruder würde sich eher die Krallen abnagen, als zuzugeben, dass er etwas nicht weiß. Jedenfalls ist dieser Hanno von Sieversdorf verschwunden. Gestern Nachmittag hat ihn seine Tochter Constanze am Zoo abgesetzt, seitdem hat keiner mehr etwas von ihm gehört oder gesehen. Zum verabredeten Abendessen mit seiner Tochter ist er nicht erschienen, nach Hause gekommen ist er nach Auskunft seiner Haushälterin ebenfalls nicht. Sein Handy ist ausgeschaltet, seine Mailbox wird offenbar nicht abgehört. Es ist, als sei er beim Eintritt in den Zoo von einer Parallelwelt verschluckt worden.
    Hier komme ich ins Spiel. Gut: ich und mein Bruder Rufus. Nachdem Phil uns vorhin seinen Fall dargelegt hat, habe ich ihm einen Deal angeboten: Wir finden heraus, was es mit den Blitzen von letzter Nacht auf sich hat, dafür versorgt Phil den gesamten Clan einmal mit Lebendessen. Endlich bekomme ich die Chance, allen zu zeigen, was ich draufhabe. Pa wird Augen machen. Wenn ich wirklich herausbekomme, was hier gestern passiert ist, und Phil uns mit Lebendessen versorgt, dann wird er sich zweimal überlegen, ob er wirklich Rocky junior zu seinem Nachfolger bestimmt. Der hat zwar zugegebenermaßen fünfhundert Volt in den Vorderbeinen, dafür aber leider keinen Trafo zwischen den Ohren.
     
    Wir warten, bis im Bau Ruhe eingekehrt ist, dann schleichen Rufus und ich durch den Geheimgang, der unter dem Weg entlang zu den Flamingos hinüberführt. Der Ausstieg liegt direkt hinter dem Flamingohaus. Zur Tarnung habe ich eine Gehwegplatte darübergelegt.
    Rufus hat bereits weiche Knie, bevor wir draußen sind. Alleine die Vorstellung, sich frei im Zoo zu bewegen – außerhalb der Grenzen unseres Geheges –, setzt bei ihm so viel Adrenalin frei, dass er sich alle paar Minuten vor Aufregung seine eigene Klaue aufs Ohr haut. Am Ende, ich muss es zugeben, ist mein ganzer Clan ein ziemlich degenerierter Haufen. Pa, der Gicht und eine Staublunge hat, aber trotzdem darauf besteht, spätestens bei Sonnenuntergang in den Bau zu müssen, ist das beste Beispiel dafür. Noch immer redet er von der Savanne als »unserer spirituellen Heimat« und dem »geheiligten Land«, in Wirklichkeit aber könnten ihn alle Puffottern der Welt nicht mehr aus unserem Gehege vertreiben.
    »Alles klar, Mann?«, frage ich meinen Bruder, als ich die Platte beiseitestemme.
    »Klar ist alles klar«, keucht Rufus und schlägt sich die Klaue aufs Ohr.
    Wir beginnen unsere Befragung bei den Flamingos. Erstens kamen die Blitze aus dieser Richtung, zweitens stehen wir sowieso gerade in ihrem Gehege, drittens sind Flamingos tag- und nachtaktiv. Wenn also jemand mitbekommen hat, was hier gestern passiert ist, dann am ehesten einer von ihnen. Das Problem ist: Flamingos sind sensationell vergesslich und rangieren in der Natur auf dem vorletzten Platz, wenn es darum geht, eins und eins zusammenzuzählen. Meine Fragen wollen also wohlüberlegt sein.
    Ich klettere auf einen Begrenzungsstein und richte mich auf: »Alle, die wach sind: mal herhören!«
    Schlagartig verstummt das Gequassel. Ungefähr die Hälfte der Flamingos dreht mir
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