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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
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Wache unverzüglich Folge zu leisten«, erwidere ich ungerührt. »Also gilt auch für dich: Zurück in den Bau! Du kannst schon mal Pa wecken. Wir erstatten gleich Bericht.«
    Rocky sieht mich verächtlich an. »Wie schon gesagt, kleiner Bruder: Dir wird das Lachen noch vergehen.«
    »Aber klar doch«, grinse ich, »und jetzt ab mit dir ins Körbchen.«
    Roxane muss kichern. Rocky wirft mir einen gehässigen Blick zu. Ich lächele verbindlich.
    Als alle im Bau verschwunden sind, laufe ich zu Rufus zurück. »Ist noch etwas passiert?«, will ich wissen.
    Rufus schüttelt den Kopf.
    »Okay. Wie lange wollen wir warten?«
    Rufus zuckt mit den Schultern. »Vielleicht noch ein paar Minuten. Ich hab mir eben vor Schreck auf die Füße gepinkelt. Ich möchte nicht so gern, dass das alle sehen.«
    »Kein Problem«, erwidere ich. »Warten wir noch etwas.«
    Ich stelle mich neben Rufus und blicke zum Flamingogehege. Dort ist alles still. Totenstill.
     
    Am nächsten Morgen gönnt sich unser Clan ein Langschläferfrühstück. So nennen wir es, wenn wir den Fraß, den Pfleger Silvio uns jeden Morgen ins Gehege wirft, bis zum Mittag liegen lassen. Die Nacht war nicht nur aufregend, sondern auch lang. Die Blitze und das Krachen haben Pa an Erlebnisse in Afrika erinnert. Sagt er. Da er nie dort war, sind seine Abenteuer mit kaltherzigen Wilderern, gefährlichen Bestien und entfesselten Naturgewalten zwar pure Einbildung, aber die jüngeren Clanmitglieder stehen nun mal auf Gruselgeschichten. Rufus und ich wurden für unser ebenso mutiges wie umsichtiges Verhalten von Pa zu Hauptwachmännern ernannt. Rocky wäre vor Neid fast geplatzt. Rufus hat das mit einem derart dreckigen Grinsen kommentiert, dass Rocky ihm nach unserem nächtlichen Pow Wow gleich noch mal eins auf die Nase gehauen hat.
    Jedenfalls haben die vorbeiziehenden Schulklassen heute Morgen mit einem leeren Erdmännchengehege vorliebnehmen müssen. Silvio hat zwar versucht, uns mit aufmunternden Worten aus dem Bau zu locken, allerdings ohne Erfolg. Wir gehören eben zu den eigenwilligen Gattungen. Außerdem legen wir es nicht darauf an, den Menschen zu gefallen – von Roxi einmal abgesehen, für die es einfach nicht genug Aufmerksamkeit geben kann. Ansonsten gilt: Wer für sein Geld möglichst viel Entertainment haben möchte, der muss eben zum Affengehege gehen.
    Als ich noch schlaftrunken auf den Hauptgang zusteuere, höre ich beim Passieren des Osteingangs eine tiefe Stimme sagen: »Wenn ich Sie richtig verstehe, dann gibt es also keine Möglichkeit herauszufinden, ob er an diesem Tag tatsächlich hier war.«
    Ich luge aus dem Osteingang und sehe zwei Männer, die an der Brüstung unseres Geheges stehen. Der eine hat einen Dreitagebart und wirkt insgesamt etwas schmuddelig. Jedenfalls hab ich definitiv schon Menschen gesehen, die sich regelmäßiger die Haare waschen. Er trägt eine Sonnenbrille und ein sandfarbenes Leinensakko, das aussieht, als wäre es unter einen Bus geraten. Nicht ausgeschlossen, dass der Kerl zu diesem Zeitpunkt noch drinsteckte. Er hält ein Foto in der Hand.
    Ich kneife die Augen zusammen und kann das Porträt eines älteren Herrn erkennen. Ein silbergrauer Gentleman in einem teuren Anzug. Der Grandseigneur wirkt ein wenig arrogant, ist aber insgesamt eine sympathische Erscheinung. Irgendwie kommt er mir außerdem bekannt vor.
    Der Typ im Leinensakko unterhält sich mit unserem Zoodirektor. Das ist der Einzige hier, der noch mehr zu sagen hat als Pa. Sogar noch mehr als Kong, der Gorillaboss. Der Zoodirektor ist bei den Menschen quasi der Clanchef.
    »Sie können sich gerne die Digitalfotos anschauen, die von unseren Besuchern geschossen werden«, antwortet der Zoodirektor. »Wir löschen die Bilder immer erst nach einer Woche, falls doch mal jemand nach einem Foto fragt. Aber das dürfte eine Weile dauern. An guten Tagen kommen bis zu zehntausend Besucher.«
    Das zerknitterte Leinensakko wirkt alles andere als begeistert. Er zieht eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie und hält sie dem Zoodirektor zusammen mit dem Foto des alten Mannes hin. »Ich werd’s mir überlegen. Sollte Ihnen noch etwas einfallen: Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen können.«
    Der Zoodirektor wirft einen kurzen Blick auf die Visitenkarte, steckt sie zusammen mit dem Foto ein und reicht dem Schmuddeligen die Hand. »Gerne. Viel Glück bei Ihrer Suche. Und falls Sie noch Fragen haben – rufen Sie mich einfach an. Ich habe schließlich ein Interesse daran,
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