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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt
Autoren: Silke Nowak
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erinnern.
„In der Natur – ich berufe mich hier auf einschlägige Fachliteratur – beträgt
die Wirkungszeit des Stonus-Toxin ebenfalls drei bis sechs Stunden.“ Er legte
den Kopf schief. „Zu berücksichtigen gilt allerdings, dass unser Exemplar sich
schon seit Wochen in Gefangenschaft befand, zudem unter nicht idealen Bedingungen
eines nur provisorisch angelegten Meerwasseraquariums. Das Tier hat die
kurzzeitige Sauerstoffunterbrechung nicht überlebt, was für einen nicht-vitalen
Gesamtzustand spricht.“
Allein der Gedanken ekelte sie, doch Clara zwang sich, in Richtung des Aquariums
zu sehen. Es lag umgestürzt auf dem Boden. Der Teppichboden war nass. Ein paar
Steine, Algen und gelbe Punkte lagen herum. Den Steinfisch konnte sie nirgends
entdecken.
„Fraglich ist außerdem, wie viel von dem Zeug tatsächlich in die Blutbahn gelangt
ist, da der Stachel leider ... den Handrücken durchstochen hat.“
„Es tut mir leid, Clara, das war mein Fehler“, sagte er freundlich.
Clara musste würgen. Sie stellte sich vor, wie der unförmige, zuckende Klumpen
Fisch in der Toilette lag.
„Ich verzichte allerdings auf eine zusätzliche Gabe Toxin, da Claras Gesamtzustand
nicht sonderlich stabil ist. Das Interview hat Priorität“, sagte er und nahm
die Spritze in die Hand.
Instinktiv wich Clara zurück, doch nur ihr Kopf bewegte sich.
„Das ist das Gegengift“, klärte er sie auf. „Hör mir jetzt gut zu.“
Ein Gegengift? Sie nickte.
„Das Gegengift ist hochwirksam. Es kann den Herzstillstand noch bis zu fünf
Minuten vor Einsetzen des Todes verhindern.“
Clara nickte.
„Wir werden jetzt ein Interview führen. Wenn du alles richtig machst, werde ich
dir das Gegengift spritzen. Hast du das verstanden? Du hast dein Leben selbst
in der Hand.“
Clara nickte. Meinte er das ernst?
„Noch irgendwelche Fragen?“ Er blickte durch die Kamera.
„Warum ... ich?“ Clara schluckte, um ihre Zunge zu befeuchten. Die Oberfläche
fühlte sich noch immer taub an.
„Du bist auserwählt, Clara.“
„Nein, meine ... ich meine ... sind alle die gleichen ...?“
„Ich habe dir doch gesagt, dass du etwas ganz Besonderes bist.“ Er lächelte.
„Es geht sofort los.“ Leonhard verließ den Raum und kehrte kurz darauf mit
einer Stehlampe zurück. Ein Spalt weißer, dicker Haut klaffte zwischen seiner
Jeans und dem T-Shirt, als er sich nach dem Stecker bückte. Mehrmals richtete
er die Lampe neu aus und kontrollierte das Licht durch die Kamera.
Wenn du alles richtig machst ... Clara musste sich konzentrieren. Er hatte ihr die Gelegenheit gegeben, nachzufragen,
doch sie hatte die Chance vertan. Sie hatte schon oft beobachtet, dass
psychisch gestörten Menschen wie Leonhard ein Bedürfnis danach hatten, sich
freundlich und großzügig zu geben, doch sie wusste auch, dass es jeden Moment
ins Gegenteil umschlagen konnte. Man musste schnell sein. Eigentlich hatte sie
wissen wollen, ob Leonhard auch den anderen Frauen die Option mit dem Gegengift
in Aussicht gestellt hatte. Meinte er das wirklich ernst? Wenn ja, dann war das
Interview eine Prüfung auf Leben und Tod. Alle vor ihr hatten sie nicht bestanden.
Wenn du alles richtig machst ... „Ja, ich habe mich geirrt“, hatte Helga Kramer auf dem Video immer wieder
versichert. „Du bist mein Traummann“, hatte Stella Krefeld zuletzt gesagt.
Wenn du alles richtig machst ... Helga Kramer schien von Anfang an kooperativ gewesen zu sein. Sie hat genau
das gesagt, von dem sie dachte, dass er es hören wollte. Stella hingegen hatte
alles ausprobiert: Sie hat sich gewehrt, ihm geschmeichelt und Widerworte
gegeben. Margot hatte sich von Anfang an verweigert. „Hör auf mit der Scheiße“,
flüsterte sie noch, als sie schon kaum mehr Luft bekam.
Wenn du alles richtig machst ... Was war richtig? Wie lautete die richtige Antwort?
Helga, Stella und Margot hatten alles versucht. Alle waren sie tot.
    „Frau Schwarzenbach, bekennen Sie sich schuldig?“
Das grüne Licht blinkte. Sie sah direkt in die Kamera. Was wollte er hören?
„Was wird mir vorgeworfen?“
„Richtig.“ Er starrte auf das Papier, das vor ihm lag. Es waren drei oder vier
computerbeschriebene Seiten. „Schuldig in 74 Fällen des Versuchs der Täuschung,
Manipulation, Grausamkeit.“
„Aber ...“
„Keine Angst, wir werden jeden einzelnen durchgehen.“ Er befeuchtete seinen
Zeigefinger und blätterte durch die Seiten. „Es ist alles protokolliert.“
„Kommen wir zum ersten Punkt.“
Wenn sie sich mit aller Kraft
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