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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt
Autoren: Silke Nowak
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sich zu einer Mischung aus Harlekin und Folteropfer.
Clara starrte es an. Sie war wie hypnotisiert.
„Christine Berger war deine Mutter“, hörte sie sich sagen. „Kirchner ist der
Name deines Vaters.“
Leonhard lächelte jetzt. „Du bist ein schlaues Mädchen.“
    Leonhard setzte seine Brille wieder auf. Er nahm das Messer
und die Gabel vom Tisch und legte alles in den Topf. Er nahm den Topf und
stellte ihn hinter sich auf den Boden. Er griff unter den Tisch und zog Claras
Laptoptasche zu sich heran. Nur ihren Rechner, den ließ er stehen. Clara
beobachtete alles mit weit aufgerissenen Augen, doch sie war unfähig, sich zu
bewegen. Sie war überwältigt von der Erkenntnis, die sich so plötzlich
einstellte wie das Kribbeln in ihrer Hand.
Christine Berger hatte einen Schlüssel zu Helga Kramers Wohnung. Ihr Sohn hatte
ihn an sich genommen. Er war in die Wohnung gegangen und hat die Zettel dort
verteilt. Er hat die Tür absichtlich offen gelassen, um ihr Angst zu machen.
Christine Berger muss schon damals etwas geahnt haben. Sie muss den Grund
gekannt haben, warum ihr Sohn die langjährige Freundin hasste. Sie traute ihm
die Aktion mit den Zetteln zu, doch für einen Mörder hielt sie ihn nicht.
Deshalb hat sie ihn anfangs geschützt. Deshalb hat sie den Verdacht auf den
toten Gregor gelenkt. Deshalb hat sie sich umgebracht. Als ihr klar wurde, dass
ihr Sohn der gesuchte Steinfisch-Mörder war, hat sie sich das Leben genommen.
Vielleicht, weil sie es von Anfang an geahnt hatte.
„Dieses letzte Konzert ... Du warst also damals mit deiner Mutter dort?“ fragte
Clara.
„Finger weg!“
Clara zuckte zusammen, ihre Finger zitterten. Er schleuderte ihren Rechner
gegen die Wand, da hatte sie die Tastatur noch nicht einmal berührt.
„Ich wollte doch nur ...“ Sie hielt ihre Hände fest.
Er wirkte wieder vollkommen ruhig, lächelte sogar. „Wir wollten mit Helga noch
was trinken gehen. Wir haben auf der Straße auf sie gewartet. Doch als sie kam,
war sie nicht allein. Er hatte seine Hand bereits unter ihre Bluse geschoben,
ihr Lippenstift war verschmiert. Es war ... entwürdigend.“
„Woher weißt du, dass es Hagen war? Kanntest du ihn damals schon?“
Er zuckte mit den Schultern. „Hagen hat sich schon immer für die Frauen in
meiner Umgebung interessiert. Doch eigentlich ging es ihm dabei gar nicht um
sie. Er war so kindisch. Hagen meinte mich. Hagen hat sich von mir bedroht
gefühlt, deshalb.“
Clara nickte. Sie war sich jetzt sicher, dass der Student nicht Hagen gewesen
war. Leonhard projizierte rückblickend seinen Hass. Hagen hatte in Leonhard nie
einen Konkurrenten gesehen, geschweige denn einen gleichberechtigten Gegner,
doch in Leonhards Fantasie hatten die beiden Mann gegen Mann gekämpft.
„Wo ist Hagen?“
„Helga Kramer“, sagte Leonhard, als habe er sie nicht gehört. „Es ist so entwürdigend,
dass jemand wie sie über das Schicksal von Kindern entscheidet.“
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
„Leider fehlt ihm die geistige Reife!“ Er lachte schallend. „Und das sagt so
eine! Lässt sich von jedem dahergelaufenen Typen vögeln und redet was von
geistiger Reife.“
„Hat sie das zu dir gesagt?“ Das Kribbeln wanderte Claras rechten Arm hinauf.
„Du hast also mal bei ihr vorgespielt? Ich wusste ja gar nicht, dass du ein Instrument
spielst, Leo.“
Er zuckte mit den Achseln. „Klavier. Meine Mutter wollte das.“
Sein Gesicht verzog sich vor Hass. „Die Kramer und ihre ach so hochbegabten
Kinder. Was für ein ekelhafter Zirkus. Von denen hat die Welt doch nie mehr was
gehört!“
Ihr Handy piepte. Sie hatte eine SMS bekommen. Wie spät mochte es sein? Halb
neun?
„Wenn ich nur an diesen Adrian denke“, fuhr Leonhard fort, „an diesen Schnösel,
mein Gott, wie hat der sich immer aufgeführt ...“
Er sah sie an. Für einen Moment war alles wie früher.
„Leo“, versuchte es Clara wieder. „Zirkus trifft es doch ganz gut. Mein Gott,
es gibt so viele Zirkusmanegen auf dieser Welt, was erwartest du denn, die anderen
sind doch auch nur ... Menschen, das ist doch alles kein Grund, sich so ...
aufzuregen.“
Sie zwang sich, ihn anzusehen. „Warum der Hass?“
Er schloss für einen Moment die Augen und atmete durch. „Ich bin auserwählt,
Clara.“
Er starrte ins Leere. Sie hatte ihn wieder verloren.
„Leo?“
Leonhard zuckte zusammen. „Weißt du, was meine Mutter immer zu mir gesagt hat?“
Clara schüttelte den Kopf.
„Sie habe sich immer einen Sohn gewünscht, der
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