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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt
Autoren: Silke Nowak
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...“
Clara presste die Hände zusammen. „Du bist erwachsen, Leo.“
„Herzchen", hat sie immer gesagt, „mein kleines Herzchen.“ Er beugte sich
zu Clara über den Tisch und flüsterte: „Die wirklich Auserwählten erkennt niemand.
Erst wenn sie die Tat begehen, dann spricht jeder von ihnen.“
Leonhard fuhr mit der Hand durch die Luft, als winke er jemandem zu. „Die
wirklich Auserwählten ...“
Im Hausflur schlug eine Tür zu. Da waren Schritte.
Clara schrie.
„Hilfe“, schrie sie, doch Leonhard redete einfach weiter.
Hatte sie überhaupt geschrien? Clara biss sich auf die Lippe. Ihr ganzer Arm
war jetzt taub. Sie hatte einen seltsamen Druck auf den Ohren, seine Worte
drangen nur noch gedämpft zu ihr durch.
Aber Stella Krefeld, hörte sie sich mühsam das Gespräch aufrecht erhalten, 
Stella Krefeld habe über niemanden geurteilt. Leonhard lachte. Frauen wie
Stella seien schlimmer als alle Lehrer zusammen: Sie würden einfach so, ganz
nebenbei, darüber entscheiden, wer zählt und wer nicht. Stella habe ihn damals
ausgelacht, als er sich für das Rollenspiel gemeldet habe, um einen Beamten der
Spezialeinheit darzustellen. „Dass immer die Kleinsten das Sondereinsatzkommando
spielen wollen“, habe Stella gesagt und gelacht. In ihr Lachen hätten alle
eingestimmt. Ob Clara das vergessen habe? Sie sei doch auch dabei gewesen.
Clara starrte auf das leere Glas Wasser, das vor ihr auf dem Tisch stand.
„Was hast du da rein getan?“, sagte sie. Eine Träne lief ihr über die Wange,
als sie an das Baby dachte.
„Nichts Schlimmes, nur etwas zur Beruhigung.“ Er streckte seine Hand nach ihr
aus. „Ich liebe dich, Clara, das weißt du doch.“
    „Du bist mein Freund, Leo.“ Das hatte sie einmal ernsthaft
geglaubt. „Das ist doch viel mehr wert als irgendeine kurze Bettgeschichte oder
Schwärmerei. Letztlich ist es doch das, was bleibt.“
„Freundschaft.“ Er bog seine Finger durch, bis es knackte. „Seit zwei Jahren
mache ich mich zum Gespött des Präsidiums. Seit zwei Jahren lasse ich mich
demütigen. Und weißt du auch, warum?“ Er sah sie an.
„Leo, ich ...“
„Du hast mich hingehalten. Du hast von Anfang an mit mir gespielt. Und ich
Trottel dachte, du ...“
Er griff in seine Hosentasche. „Es tut mir wirklich leid, Clara. Dabei verdanke
ich es dir, dass ich mein Leben jetzt selbst in die Hand nehme. Weißt du noch,
als wir am Heiligen See waren?“
Clara nickte. Er zog seine Hand wieder heraus. Eine lange, weiße Plastikkanüle
ragte aus der geschlossenen Faust.
„Am Heiligen See“, sagte sie. „In Potsdam.“
Sie waren mit den Fahrrädern raus gefahren, es war ein schöner, sonniger Tag
gewesen und Clara hatte Leonhard überredet, mit ihr baden zu gehen, obwohl sie
keine Badesachen dabei hatten. Sie waren alleine in der Bucht gewesen, das
Marmorpalais direkt gegenüber. Im Wasser hatte Leonhard sie dann mit seinem
unförmigen Körper umfangen und dabei hatte sie es gespürt. Spielerisch hatte
sie sich aus seiner Umarmung befreit und war froh gewesen, dass er nicht noch
einmal damit anfing, als sie zurück in Berlin noch etwas essen waren.
Er legte die Spritze auf den Tisch.
„Seitdem weiß ich, dass es im Leben mehr gibt“, sagte er.
„Leo.“ Es fiel Clara schwerer als sonst, zu lügen. Ihr ganzer Körper wehrte
sich gegen die Worte: „Es gibt noch so viel mehr im Leben! Wir könnten doch mal
zusammen verreisen, oder wir könnten sogar zusammenziehen, ich meine, du wohnst
doch auch noch in deiner alten Bude, oder wir könnten zusammen ...“
Er legte den Finger auf seine Lippen und schüttelte den Kopf. „Du kontrollierst
mich nicht mehr.“
„Leo.“ Sie hatte das Zucken in seinem Mundwinkel gesehen. „Ich dachte doch
immer, du hast eine andere, deshalb habe ich ...“
„Sei still!“ Zögerlich stand er auf. Die Spritze lag auf dem Tisch.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du mich liebst, dann ...“
„Sei endlich still!“ Er klang nicht sehr überzeugend. Er ging um den Tisch herum.
Er blieb hinter ihr stehen. Die Spritze lag auf dem Tisch. Was hatte er vor?
„Ich liebe dich, Leo!“ Clara fühlte sich, als habe sie die Worte erbrochen.
Als seine Hände sich auf ihre Schultern legten, spürte sie, dass er zitterte.
„Leo.“ Auch ihre Stimme zitterte. „Lass uns zusammen abhauen, lass uns neu
anfangen, alles hinter uns lassen, wir könnten nach ...“
Es fiel ihr kein Land ein, in das sie zusammen fliegen konnten.
„Du liebst mich?“ Er zerrte sie vom Stuhl hoch. Als
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