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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt
Autoren: Silke Nowak
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heraus. Sie
waren fast schwarz.
Johannes Teufel entfernte sich lautlos. Er war die ganze Nacht an Claras Bett
gesessen. Draußen wurde es schon wieder hell. Ein paar Vögel zwitscherten.
Er könnte eine Zigarette gebrauchen.
Teufel trat in den morgendlichen Park hinaus. Tagsüber saßen hier die Kranken
und ihre Besucher, jetzt huschten nur ein paar Krankenschwestern und Ärzte
zwischen den Gebäuden hin und her. Er setzte sich auf eine Bank und schloss die
Augen.
„Margot, mein Mädchen“, flüsterte er, als er einen Lufthauch hinter sich spürte.
„Ich hoffe, es geht dir gut da, wo du jetzt bist.“
Er drehte sich um. Niemand war da.
Er zündete sich eine Zigarette an. Die Nacht an Claras Bett hatte ihm einiges
klar gemacht. Er war jetzt fast 60. Wenn er Glück hatte, hatte er noch zwanzig
gute Jahre vor sich, und er vertraute darauf, Glück zu haben. Zwanzig Jahre
waren viel, aber es war nicht unendlich viel.
Teufel nahm einen Zug. Etwas war mit ihm passiert.
Seine Berliner Ära war mit Margot zu Ende gegangen. Seit Margot tot war, hatte
sich der Betrieb verändert. Gestern war er im Präsidium gewesen. Die Leute
sprachen, als sprächen sie auswendig gelernte Texte, sie agierten, als folgten
sie Regieanweisungen. Alles war nur noch Kulisse, seit Margot tot war, es
fühlte sich einfach nicht mehr echt an.
Er drehte sich um.
Ein Pfleger kam den Weg entlang. Seine Augen waren seltsam nach vorne gerichtet.
Er ging an Teufel vorbei in Richtung Kardiologie.
Teufel hatte hier nichts mehr verloren. Er schuldete das seinen Leuten, die
ihre Arbeit noch immer ernst nahmen und freiwillig Überstunden in Kauf nahmen,
bis sie zusammenbrachen. Er schuldete das Susanne und dem Glück, das sie einmal
zusammen hatten, ein Glück, das in seiner Erinnerung immer mehr verblasste.
Aber vor allem schuldete er es Margot. Er hatte es ihr versprochen, als er ihr
Herz in den Händen gehalten hatte. Es würde sein Leben ändern: für das Kind,
das sie nie bekommen hatten.
Ihr eigenes Leben war ihnen damals so wichtig erschienen. „Dann lebe auch“,
hörte er die kleine Stimme.
Doch was sollte er tun? Er könnte eine Weltreise machen. Er könnte sich treiben
lassen. Es würde sich etwas ergeben.
Der Rauch brannte in seiner Lunge.
Er musste sich um Clara kümmern. Sobald Kirchner erfahren würde, dass Clara
noch lebte, würde er es wieder versuchen. Doch letztlich musste jeder, hatte
Reichenbaum nachdrücklich betont, jeder, der mit Kirchner irgendwie zu tun
gehabt hatte, musste gewarnt sein. Wahrscheinlich stand Teufel selbst auf der
Liste.
Nervös suchte sein Blick das Gebüsch ab.
Reichenbaum war gestern Nacht davon ausgegangen, dass sie Kirchner in den
nächsten 12 Stunden schnappen würden. Doch bisher verlor sich seine Spur.
Gegenüber unterhielten sich zwei Ärzte. Der eine sah aus, als trüge er eine
Perücke. Der andere hatte eine Schiene am Fuß.
Teufel trat seine Zigarette aus.
Teufel konnte sich kaum an Kirchner erinnern, so unauffällig hatte er sich all
die Jahre verhalten. Verstecken war sein Spezialgebiet.
Die Ärzte lachten.
Jeder konnte Kirchner sein.
Plötzlich begann sein Herz zu rasen. Auf einmal wusste Teufel, was ihn bei der
Wachablösung heute Morgen irritiert hatte. Der Polizist, der Clara bewachte,
humpelte, als habe er sich den Fuß verletzt.
Teufel sprang auf. Er rannte los.
David Mayer war bewaffnet, doch wusste er Bescheid? Was, wenn er Clara alleine
ließ, um aufs Klo zu gehen?
Teufel hetzte die Gänge entlang. Es roch nach Essen, nach Desinfektionsmittel,
nach verfaulten Blumen. Er stürzte die Treppen nach oben. Der Arzt von der
Intensivstation blickte ihm irritiert hinterher, als er an ihm vorbei rannte.
Die Dienstmarke, schrie er, er wolle die Dienstmarke sehen!
Der Polizeibeamte wich zurück, als Teufel auf ihn zustürmte. Überrascht, aber
dennoch routiniert zog er seinen Ausweis hervor.
„Was ist das!“, schrie Teufel und deutete auf den Fuß des Polizisten.
„Ein Sportunfall“, sagte der Beamte. Er wirkte verlegen.
Erst jetzt bemerkte Teufel das alarmierte Gesicht von David Mayer. Er stand im
Türrahmen und hatte die Hand an der Waffe.
Alles in Ordnung, murmelte Teufel, als er an ihm vorbei in das Zimmer ging.
Clara war wach. Sie hatte die Augen geöffnet. Er trat an ihr Bett und berührte
zärtlich die verletzte Hand.
„Was ist mit dem Baby?“, flüsterte sie.
„Es lebt“, sagte er und hörte sein eigenes Herz laut schlagen.
Clara schloss die Augen. Eine Träne lief ihr die Wange hinab. Als
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