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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt
Autoren: Silke Nowak
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zur Seite warf, würde der Stuhl dann umkippen?
Doch was würde das bringen?
„Am Dienstag, den 26. September 2010, um 18 Uhr 5 haben Sie mitten in einer
wichtigen Besprechung gesagt, ich zitiere, 'vielleicht kann Leo ja schnell noch
Pizza holen'. Wie haben Sie das gemeint?“
Wenn sie mit aller Kraft den Kopf nach vorne warf, könnte sie vielleicht das
Handy treffen. Doch würde das was bringen?
„Was sagen Sie dazu?“
Clara starrte ihn an.
„Was wurde Margot vorgeworfen?“, fragte sie. „Margot hat dir nie etwas getan.“
Seine Kiefer kauten. Es arbeitete ihn ihm.
Er blickte auf die Uhr. „Fünf Minuten.“
Er schaltete die Kamera aus und verließ den Raum.
Das Handy. Sie musste irgendwie den Notruf betätigen. Sie bewegte ihre Hände
hinter dem Stuhl. Mit den Fingern der linken Hand fühlte sie etwas Kaltes. Es
war ihre rechte Hand.
Sie hörte den Drucker im Nebenzimmer.
Ihr Blick fiel wieder auf das Handy. Das Ding funktionierte über Touchscreen.
Wie sollte sie das machen ohne Hände? Sie lehnte sich nach vorne und streckte
die Zunge aus. Es fehlten mindestens noch zwanzig Zentimeter.
Margot, sag mir, was ich tun soll, bitte ... Sie versuchte, mit dem Stuhl aufzusehen, um sich umzudrehen ... Es ging
nicht. Ihre Füße berührten zwar den Boden, doch sie konnte das Gewicht nicht
verlagern. Sie schloss die Augen.
Jetzt nur nicht durchdrehen. Sie hatte nur eine Chance. Sie musste es mit der einzigen Waffe versuchen,
die ihr noch blieb. Sie musste mit ihm im Gespräch bleiben. Schließlich hatte
sie ihn schon dazu gebracht, von seinem Plan abzuweichen. Das war gut. Sehr
gut. Sie musste herausfinden, was er hören wollte.
Wenn du alles richtig machst ... Er kam zurück.
Wortlos schob er ein Stück Papier über den Tisch. Das offizielle Logo des Präsidiums
war darauf.
„Herr Kirchner arbeitet in der Gruppe stets zuverlässig“, las sie. „Ihm fehlt
jedoch die natürliche Autorität und Durchsetzungskraft, um eine Führungspersönlichkeit
abzugeben.“
Es war ein Gutachten. Margots Unterschrift war darunter. Clara versuchte, sich
auf den Inhalt zu konzentrieren.
Es ging um die Leitung einer Presseabteilung irgendeines Museum in Leipzig, auf
die sich Leonhard 2009 beworben hatte. Leonhard Kirchner besitze zwar gute
fachliche Qualifikationen, schrieb Margot weiter, doch angesichts einer Stelle,
die von öffentlichem Interesse war, kam sie zu dem Schluss, dass er kein
geeigneter Kandidat sei. Sie schrieb irgendetwas von „schwarzen Löchern“ in
seiner Biografie und dass die Biografie eines leitenden Angestellten einer
öffentlichen Abteilung „vollkommen transparent“ sein müsse, wie sie meinte.
„Was meint sie damit?“, fragte Clara. An Leonhards angespannter Kiefermuskulatur
sah sie, dass es die falsche Frage gewesen war.
„Aber warum gibst du überhaupt etwas auf solche Kommentare?“, fragte sie
wieder. „Niemand entscheidet über dein Leben – als du selbst. Und du bist etwas
ganz Besonderes, Leo, das weißt du.“
„Du hast recht“, sagte er. „Fangen wir an.“
Er schaltete die Videokamera wieder an. Das grüne Licht blinkte.
„Am Dienstag, den 26. September 2010, um 18 Uhr 5 hast du gesagt, ich zitiere
abermals, 'vielleicht kann Leo ja schnell noch Pizza holen'. Wie hast du das
gemeint?“
Clara starrt ihn an.
„Du meintest damit“, gab er selbst die Antwort, „dass man auf mich verzichten
kann bei der Besprechung, weil meine Meinung ohnehin irrelevant ist.“
Clara schüttelte den Kopf. „Nein! Ich ...“
Ihr Handy klingelte. Der Vibrationsalarm ging an. Das Ding bewegte sich zwei
Zentimeter auf sie zu.
Leonhard nahm es und sah auf das Display. Dann legte er es neben sich.
„Leo, das mit der Pizza habe ich ganz anders gemeint“, flüsterte sie. „Ich ...“
„Am Freitag, den 2. Oktober, um 7 Uhr 14 hat Hagen van Velzen einen anzüglichen
Witz gemacht, den ich nicht wiederholen möchte. Das könnte höchstens unserem
Leo passieren, kommentierte er. Alle haben gelacht. Auch du.“
Er sah sie an. Er wartete auf ihre Verteidigung.
„Wo ist Hagen?“, fragte sie.
„Leo, hörst du mich?“ Sie versuchte, zu ihm vorzudringen. „Wo ist Hagen?“
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich ihn gehasst habe“, sagte er.
Er hatte wieder „Du“ gesagt. Clara hielt das für ein gutes Zeichen.
„Doch, ich kann mir das vorstellen“, versicherte sie. „Ich mochte ihn auch nie
besonders. Aber sag mal, was sollte das eigentlich mit dem Tuch bei Helga
Kramer? Hast du diesen Knoten gebunden?
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