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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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gegeneinanderhetzte und schließlich eine Wirtschaftskatastrophe nach sich zog, viele Jahre hindurch, gleich einer schleichenden Krankheit, die zum Tode führen mußte, hin, und lange blieb der Sieg ungewiß.
    Langsam aber brach das riesige Kapital des Bankiers zusammen, denn der ›Rotmantel‹ ging wie jene Schachspieler vor, welche die größten Verluste nicht scheuen, wenn sie dadurch in der Lage sind, einen winzigen Vorteil zu erreichen, und indem er sein ganzes Vermögen opferte, gelang es ihm, dasje-nige des Bankiers zu vernichten und das Bild in seine Gewalt zu bringen.

    30

    Was er nun für Gründe gehabt hatte, sich an mich zu wenden, wage ich nicht zu vermuten, doch kann ich nicht sagen, daß mir seine Einladung unerwartet kam, ich nahm sie vielmehr wie etwas Unabänderliches hin.

    Es war einer meiner letzten Gänge, die ich in unserer Stadt tat, kurz bevor ich sie verlassen mußte (unter Umständen, die ich später erzähle). Ich war durch lange Vorstadtstraßen gegangen, durch die Arbeiterviertel, die sich mir wie seltsam gezackte Urlandschaften darboten, mit tiefen Klüften und geometrischen Schatten, die scharf umgrenzt auf den Asphaltflächen lagen. Es war spät in der Nacht, nur noch einige Betrunkene torkelten, wilde Lieder brüllend, herum, und irgendwo gab es eine Schlägerei mit der Polizei. Dann erreichte ich sein Haus, unten am Fluß, von Ufergebüschen, Schrebergärten und in weitem ansteigendem Halbkreis von Mietshausblöcken umgeben, ein langgezogenes Gebäude, mit verschiedenen Dächern, ursprünglich aus vier zusammengebauten, ungleich hohen Häusern bestehend, deren Zwischenwände niedergerissen worden waren und deren Fenster im Mondlicht gleißten. Das Hauptportal war weit geöffnet, was mich beunruhigte, um so mehr, als ich über Haufen umgeworfener Kübelpflanzen steigen mußte, um es zu erreichen, doch fand ich im Innern vorerst noch nicht die Unordnung vor, die ich erwartet hatte.
    Ich schritt durch riesige Räume, nur vom Mond erhellt, der flackernd durch die Scheiben drang, ahnte an den Wänden Bilder von unermeßlichem Wert und roch den Duft seltener Blumen, doch erblickte ich überall durch die silberne Dämmerung die Zettel der Pfändungsbeamten, die an alle Gegenstände geklebt waren. Auch begriff ich, wie ich mich weitertastete –
    der elektrische Strom war abgestellt worden, denn mehrmals versuchte ich vergeblich, an den Schaltern Licht zu machen –
    das Wesen des Labyrinths, welches in seinen Eingeweiden den Augenblick des höchsten Entsetzens birgt, der durch eine 31

    allmähliche, gleichmäßige Steigerung der Angst beschworen wird und dann eintritt, wenn wir unmittelbar nach der jähen Biegung eines Ganges auf einen zottigen Minotaurus stoßen.
    Bald wurde jedoch das Weiterdringen schwieriger. Ich war in Teile des Gebäudes gelangt, welche nur kleine, vergitterte Fenster besaßen, die hochgelegen waren; dazu kam, daß die Teppiche hier aufgerollt und die Möbel verschoben waren. Ich wußte daher in dieser zunehmenden Unordnung bald nicht mehr, wo ich war. Es schien mir, daß ich mehrere Male in das gleiche Zimmer zurückkehrte. Ich begann mich durch Schreie bemerkbar zu machen, doch antwortete niemand, nur einmal kam es mir vor, als sei von ferne ein Lachen zu hören. Endlich fand ich den Weg, wie ich eine Wendeltreppe emporgestiegen war. Ich trat nämlich in eine Art von Estrich, auf ein großes Tenn, wie ich mich zu erinnern glaube, mit Balken kreuz und quer, die das Dach stützten, mit verschiedenen Böden, die, da sie ungleich hoch waren, mit festgemachten eisernen Leitern miteinander verbunden waren. Auch hier hatte der Hausherr alles kostbar herrichten lassen und durch geschickte Vorrichtungen wohnlich gemacht, obgleich der Sinn eines solchen Estrichs nicht einzusehen war. Vom Hintergrunde nun, von einer Brandmauer her, flackerte ein roter Schein zu mir her-
    über. Ich stieg mühsam verschiedene Leitern hinauf und andere wieder hinunter. Fenster waren nirgends zu sehen, so daß außer dem Kaminfeuer kein Licht war; doch verhielt sich dieses unregelmäßig, bald flackerte es so stark auf, daß alle Gegenstände des Estrichs klar hervortraten, die Pfosten, Balken, Möbel, und wilde Schattenfiguren über die Wände und über das Dach tanzten, welches man von innen sah, bald erlosch es beinahe, so daß ich mich in tiefem Dunkel auf den Böden oder auf den Leitern irgendwo in dem unübersichtli-chen Raume befand. Ich näherte mich dem Feuerschein immer mehr. Wie
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