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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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wissen.
    Der Gang war länger als ich vermutete. Er schien sich im allgemeinen zu senken, doch bin ich dessen nicht sicher, da wir manchmal mühsam klettern mußten, so steil hob er sich, dann wieder seilten wir uns in Ungewisse Tiefen hinab: sich vom Labyrinth, in dem wir leben, ein geographisches Bild zu machen, ist wohl nie möglich. Manchmal schritten wir meter-weit durch eiskaltes Wasser, das uns bis zu den Knien reichte.
    Links und rechts schlossen sich bisweilen andere Gänge dem unsrigen an.
    Mein Führer schritt vorsichtig und schweigend voran, die Maschinenpistole schußbereit in den Händen, was ich ihm aus Gewohnheit nachmachte, und dies mit Recht, denn bei der Einmündung eines Ganges in den unsrigen pfiff ein Schuß an meinem Kopf vorbei und verhallte bellend in den Gängen, worauf wir gute hundert Meter davoneilten, um endlich zu einer Wendeltreppe zu gelangen, von der aus der Wärter, sinnlos, wie mir schien, da niemand zu sehen war, in den Gang, durch den wir gekommen waren, hineinschoß: so oft, bis seine Maschinenpistole leer war.
    Nach kurzem Abstieg gelangten wir zu einer etwas besser beleuchteten Höhle, in die weitere Wendeltreppen führten, einige von oben, einige von unten her. Mein Führer wich nach der Seite aus, und ich betrat die Höhle von einer Art Vorraum aus, in den ich durch die Wendeltreppe gelangt war, um jedoch entsetzt stehen zu bleiben, denn in der Mitte der Höhle hing an 138

    den Händen ein nackter, bärtiger Mann, dem man einen schweren Stein an die Füße gebunden hatte.
    Er hing bewegungslos, und nur manchmal röchelte er. An der Wand aber, direkt am Fels, auf einer dürftigen Pritsche, mitten unter Haufen verschiedenster Waffen und Munitionski-sten, saß die riesenhafte Gestalt eines alten Offiziers, mit geöffnetem Waffenrock, so daß eine haarige, weiße Brust zum Vorschein kam, naß vor Schweiß. Doch die Uniform war mir vertraut, ich kannte sie noch vom Kriege her.
    »Exzellenz«, stammelte ich, denn der Offizier war niemand anderes als mein alter Kommandant.
    Aus einer Flasche, die neben ihm auf der Pritsche stand, schüttete er sich ein Glas mit Schnaps voll, als er mich bemerkte.
    »Nun, Hänschen«, lachte der Kommandant heiser und stürz-te das Glas hinunter. »Komm her, Hänschen!« und er bettete meinen Kopf, als ich zu ihm gekommen war, an seine feuchte Brust und verkrallte seine greisen Finger in mein Haar.
    »Da bist du ja, Hänschen«, fuhr die heisere Stimme über mir fast singend fort, »da bist du ja wieder, mein Hurensöhnchen, hinuntergestiegen zu deiner Exzellenz, in die erhabene, des Menschen einzig würdige Zone der Gefahr. Verflucht dieses Leben über uns, nicht wahr?« und er schüttelte meinen Kopf mit Wucht hin und her. »Hätte mich gewundert, wenn sie mein Hänschen hätten zähmen können, die wohlmeinenden Herren von der Verwaltung. Aber nichts denn Gutes von unseren Herren!«
    Unvermutet gab er mir mit seinem rechten angezogenen Knie einen solchen Stoß, daß ich, da er mich gleichzeitig losließ, gegen den Hängenden taumelte, der laut aufstöhnte und noch immer, wie ich mich schon aufgerichtet hatte, wie ein gewaltiger Glockenklöppel hin und her baumelte.
    »Einen Stumpen, Dreckskerl!« rief der Offizier lachend zum Wärter hinüber, der mich hergebracht hatte, und richtete sich 139

    auf. »Ich habe meine Portion verraucht.«
    Dann, als ihm der Wärter eine jener billigen Zigarren gereicht hatte, die überall geraucht werden – es gibt nur die –, steckte er sie nachläßig mit einem goldenen Feuerzeug in Brand, das seltsam von der ungeheuerlichen Dürftigkeit der Höhle und seiner verwahrlosten Uniform abstach. Doch erinnerte ich mich, dieses Feuerzeug schon im Kriege bei ihm gesehen zu haben, was mich wieder mit Genugtuung erfüllte.
    Die alten, guten Zeiten waren doch nicht ganz verschwunden.
    »Hänschen«, sagte er und paffte dem hängenden, nackten Mann eine Rauchschwade ins Gesicht, indem er nahe an ihn herantrat, »Hänschen, du scheinst dich zu wundern, so einen bei uns hängen zu sehen. Die Armee, wirst du doch hoffentlich denken, hat nichts für Schinder übrig. Wenn da nun einer nackt an einem Strick baumelt, wird dies gegen den Willen seiner alten Exzellenz sein, nicht wahr, Hänschen, du bist ein anständiger Kerl, und das denkst du?«
    Ich nahm Achtungsstellung an und antwortete: »Jawohl, Exzellenz.«
    Der Alte schaute mich mit zusammengekniffenen Augen argwöhnisch an.
    »Hänschen«, sagte er, »was glaubst du denn
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