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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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ständig wiederkehrenden Einwand zu widerlegen, der aus einer merkwürdigen Behauptung bestand, die mir entfallen ist. Es war ein ermüdender Dialog, der sich in einem hoffnungslosen Zirkel bewegte. Wir schwiegen erst, als wir ein Bild erblickten, das in schwerem Rahmen an der Wand hing, in welchem ich auf einer kleinen Fläche den Namen des Niederländers Hierony-mus Bosch las. Wir betrachteten mit großer Verwunderung das kleine Bild, das auf Holz gemalt war und die Hölle in ihren scheußlichsten und geheimsten Qualen darstellte, durch eine sonderbare Verteilung der roten Farbe beunruhigt. Ich glaubte in ein loderndes Feuermeer zu blicken, dessen Flammen immer neue zahllose Formen bildeten, und ich kam erst nach einiger Zeit den Gesetzen auf die Spur, die dem Bilde zugrunde liegen mochten. Vor allem erschreckte mich die Tatsache, daß mein Blick, durch Vorrichtungen des rätselhaften Malers gelenkt, immer wieder zu einem nackten Menschen zurückkehrte, der, fast verborgen durch das zahllose Volk der Gefol-terten, einen ungeheuren Felsen einen Hügel hinaufwälzte, der drohend ganz im Hintergrund aus einem Meer von dunkelro-tem Blut ragte. Es konnte nur Sisyphos darstellen, welcher der listigste der Menschen gewesen sein soll, wie uns überliefert ist. Ich erkannte, daß sich hier der Schwerpunkt des Bildes verbarg, um den sich alles wie um eine Sonne drehte. Gleichzeitig aber stieg in mir das Gefühl auf, das Bild des alten Meisters gebe das Schicksal des ›Rotmantels‹ wieder, in einer Bildschrift gleichsam, ohne daß ich sie damals aber hätte entziffern können. Es ist möglich, daß die roten Farbmassen des Bildes diesen Verdacht erweckten, der sich zur vollen Gewißheit steigerte, als der ›Rotmantel‹ das Gemach mit dem 26

    Gastgeber, einem Bankier, betrat. Sie kamen, ohne zu sprechen, nicht in Masken, wie die meisten, sondern in Abendklei-dern, mit der vollendeten Gelassenheit zweier Weltmänner, aber ihre Augen blickten starr. Ich erkannte, daß sich zwischen den beiden etwas Entsetzliches vollzogen hatte, das sie zu Todfeinden machen mußte und durch einen mir unbekannten Grund mit dem Bilde verknüpft war.
    Doch dauerte alles nur Augenblicke. Der Bankier schritt mit dem Arzt in den Saal zurück, und der ›Rotmantel‹ verwickelte mich in ein sonderbares und dunkles Gespräch über Sisyphos, das immer drohendere Gebiete erschloß, wohin der Geist sich nur ungern zu verirren pflegt; auch schien unter seinen Worten jener Fanatismus zu glühen, den wir bei Menschen antreffen, die entschlossen sind, ihrer Idee die Welt zu opfern. Obschon nur noch Teile unseres Gesprächs in meinem Gedächtnis haften blieben, so erinnere ich mich doch, damals durch seine Worte überzeugt worden zu sein, daß ihn eine heftige und absonderliche Liebe zu diesem alten Bilde trieb, von dem er während der ganzen Unterhaltung kein Auge ließ. Nur noch ungenau entsinne ich mich einiger Andeutungen über geheimnisvolle Parallelen, die zwischen der Qual des Sisyphos und dem Wesen der Hölle zu vermuten seien. Dann sprach er spöttisch von der Ironie, die den Höllenqualen innewohne, welche die Schuld des Verdammten gleichsam parodiere, so daß dessen Qual auf eine entsetzliche Weise verdoppelt würde.
    Der Rest des Gesprächs ist mir wie ein schwerer Traum entschwunden, auch weiß ich nicht mehr, wie wir uns trennten; vom Feste, das bis zum späten Morgen dauerte, sind mir nur einige koboldartige Masken in Schwarz und leuchtendem Gelb erinnerlich, die damals von Tänzerinnen getragen wurden.

    Dann war es der Arzt, mit dem ich meiner Wohnung zu ging, lange vor Ende des Festes, durch meine Krankheit zu frühem Aufbruch genötigt, durch den dichten Nebel hindurch, der 27

    manchmal weiß aufleuchtete; auch wurden die räumlichen Verhältnisse zerstört, und wir bewegten uns wie in einem Keller, in den wir heimlich gedrungen waren. Das Gefühl der unmittelbaren Gefahr wurde dadurch verstärkt, daß vor uns ständig der Umriß eines Mannes zu sehen war, den wir hartnäckig einzuholen versuchten, da wir in ihm den ›Rotmantel‹
    vermuteten, für den der Arzt seit langem ein immer wachsendes Interesse zeigte. Unser Unternehmen scheiterte aber regelmäßig daran, daß sich die Gestalt anders verhielt, als wir in jedem Moment erwarteten, so daß wir immer auf eine unheimliche Weise getäuscht wurden. Indem wir so weitergin-gen und ängstlich nach dem Voranschreitenden spähten, der uns bald fast entschwunden, dann aber plötzlich
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