Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
wieder greifbar nahe war, begann der Arzt sehr leise vom ›Rotmantel‹ zu berichten, wie einer, der fürchtet, gehört zu werden. Die hauptsächlichsten Punkte seiner Darstellung entwickelten sich aus dem Umstand, daß der ›Rotmantel‹ mehrere Male versucht hatte, das Bild in seinen Besitz zu bringen, wie der Arzt erfahren hatte, aber stets am Bankier gescheitert war, der die größten Angebote von sich gewiesen hatte. Daran knüpfte der Arzt eine Vermutung, die er zuerst nicht näher begründete, indem er ausführte, der ›Rotmantel‹ werde zu jedem Mittel greifen und auch nicht vor einem Verbrechen zurückschrek-ken, das Bild des Sisyphos zu gewinnen. Ich suchte ihn zu beruhigen und erinnere mich, eine gewisse Verärgerung darüber empfunden zu haben, daß jedes Gespräch mit dem Arzt die gleiche Wendung ins Ungewisse nahm, da er nie auf reale Gegenstände hinwies, sondern stets in dunklen Vermutungen und Ahnungen wie auf Schleichwegen sich erging. Der Arzt, an den ich noch mit größter Dankbarkeit zurückdenke, war im Besitze einer virtuosen Fähigkeit, das Fragwürdige jeder Erscheinung aufzudecken, und er liebte es, die Dinge nur dann zu zeigen, wenn sie sich vor dem Abgrund bewegten. So entwaffnete er mich vor allem mit dem Argument, der ›Rot-28

    mantel‹ sei vor Jahren schon einmal im Besitze des Bildes gewesen, und er habe dieses für eine riesige Summe verkauft, nachdem er es bei einem Trödler für einige Geldstücke erworben habe, auch seien Gründe vorhanden, die dafür zu sprechen schienen, daß er vorher sehr arm gewesen sein müsse. Bevor ich mich in meine Wohnung zurückzog, bemerkte der Arzt, der mich bis zu meinem Haus begleitet hatte, mit einem Lachen, das mir heute mehr und mehr höhnisch erscheint, ich dürfe ein Gerücht nicht übersehen, das Anspruch darauf habe, einiges Licht in die dunkle Vergangenheit des ›Rotmantels‹ zu werfen. Es werde behauptet, dieser sei in seiner Jugend ein Kunstmaler von nicht unbedeutendem Talent gewesen, und es dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß der Gewinn, den er mit dem alten Bilde erzielt habe, für ihn der Grund gewesen sei, die Kunst zu verlassen, es seien gewisse Anzeichen vorhanden, die eine solche Auffassung bestätigten.

    So endete dieses Gespräch mit düsteren Vorzeichen, um so mehr, als eine ernstere Wendung der Krankheit mich längere Zeit auf mein Zimmer verwies. Ich schreibe es daher meiner damaligen streng abgeschlossenen Lebensweise zu, daß mir der grausame Kampf so lange verborgen blieb, der sich zwischen dem ›Rotmantel‹, der damals sein sechzigstes Lebens-jahr erreicht hatte, und dem Bankier um den Besitz des Bildes abzuspielen begann. Auch schwieg der Arzt lange, mit der Absicht, mich nicht zu beunruhigen.

    Es war ein Kampf zweier Gegner, die es lieben, im Verborgenen zu handeln, wo jede Willkür herrscht. Es war ein langes und vorsichtiges Ringen, phantastisch nur, weil es um den Besitz eines Bildes ging, in welchem mit den feinsten und verstecktesten Waffen gekämpft wurde, wo jeder Angriff und jeder Rückzug mit einer unendlichen Überlegung ausgeführt werden mußte, und jeder Schritt das Verderben bringen konn-29

    te, ein Kampf, der sich in Kontoren abspielen mochte, die in ewigem Zwielicht lagen, in den Vorzimmern der Departemente und schlechtgeheizten Bureaux, in Räumen, in denen man nur zu flüstern wagt, dort, wo sich jene Dinge abspielen, von denen wir nur hin und wieder unsichere Kunde erhalten, wie von allen Vorgängen, die unter der Oberfläche entschieden werden und die kaum das Antlitz jener bewegen, die an ihnen am tödlichsten beteiligt sind. Auch waren sie ebenbürtige Gegner, soweit wir die äußerste Entschlossenheit in Betracht ziehen, welche die Voraussetzung für die Form dieses Kampfes bildet, doch hatte der ›Rotmantel‹ den Vorteil des ersten Zuges, der unter solchen Konstellationen oft entscheidend zu sein pflegt. Auch fiel ihm in diesem gespenstischen Duell die Rolle des Angreifers zu, der Bankier hingegen sah sich stets in die Verteidigung gedrängt, auch dadurch im Nachteil, daß die Triebfeder seines Handelns in seiner Eitelkeit lag, die ihm verbot, vom Bild zu lassen und sich so zu retten, des ›Rotmantels‹ dämonische Gier nach dem Bilde aber entsprang einer dunklen Macht, die ihre Wurzel im Bösen selber hatte und daher mit ungebrochener Kraft zu handeln fähig war. So zog sich dieser Zweikampf eines Großindustriellen mit einer Großbank, der immer weitere Truste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher