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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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sich. Die Stricke dehnen sich.
    Die Qualen verlassen die Wände und senken sich auf jeden Gegenstand. Die Folterkammer beginnt zu atmen. Schritte nähern sich.
    Er foltert. Die Wände keuchen. Die Quader brüllen. Die Steinplatten winseln. Aus den Ritzen glotzt die Hölle. Die Luft ist siedendes Blei. Das Feuer gießt sich über weißes Fleisch.
    Die Leitersprossen biegen sich. Die Sekunden sind ewig.
    Er kauert wieder in der Ecke. Seine Augen sind leer, seine Hände wie Eis. Das Haar klebt. Die Folterkammer ist müde.
    Das Blut versickert. Die Quader erstarren. Der Ekel strömt durch die Gitter. Die Stille würgt. Die Zeit erwacht. Die Sekunden beginnen zu tasten und die Stunden schieben sich übereinander. Das Feuer leckt an den letzten Kohlen.
    Die Nacht liegt auf der Stadt. Die Sterne sind gelb. Der Mond ist braun. Die Häuser kriechen über den Boden. Er geht durch eine Gasse und betritt die Schenke. Die Fackeln brennen schwarz. Die Menschen fliehen. Der Wein ist altes Blut.
    Jemand schreit. In der Ferne rückt ein Stuhl. Eine Zote wiehert 7

    herüber. Ein Weib hat weiße Haut. Eine Hand liegt darauf.
    Die Türe geht. Es wird still. Ein Fremder setzt sich zu ihm.
    Er sieht des Fremden Hände. Sie sind schmal. Die Finger spielen mit einem Stock. Der Silberknauf blinkt. Das Gesicht ist bleich. Die Augen Abgründe. Die Lippen öffnen sich. Der Fremde beginnt zu sprechen.
    Du bist der Folterknecht. Du bist der letzte der Menschen.
    Der häßlichste. Ich habe Gold. Ich habe ein Weib und zwei Kinder. Ich habe Freunde. Einmal werde ich nichts mehr haben. Ich werde alt werden. Ich werde sterben. Ich werde verwesen. Ich werde das sein, was du bist. Mein Leben ist Abstieg ins Nichts. Das deinige bleibt sich gleich im Nichts.
    Ich beneide dich. Du bist der glücklichste Mensch.
    Ich habe jede Lust genossen. Doch meine Lust zersprang.
    Der Ekel blieb. Deine Lust ist unerschöpflich. Sie ist ewig. Du folterst. Unter deinen Händen zerbricht die Illusion Mensch.
    Das schreiende Tier bleibt. Die kleinste deiner Bewegungen erzeugt unendliche Angst. Du bist der Anfang und das Ende.
    Ich mache dir einen Vorschlag. Laß uns die Gestalt tauschen.
    Du sollst meine Frau haben. Mein Gold. Meine Jugend. Meine Macht. Laß mich Folterknecht sein. Laß uns nach zwei Jahren wieder zusammenkommen. Vergiß es nicht. Sonst bleiben wir ewig vertauscht.
    Die Worte des Fremden hämmern an sein Ohr. Ein Glas fällt.
    Der Wein strömt über den Tisch. Auf dem Boden liegen Scherben. Er sieht des Fremden Gesicht. Es ist schön. Sein Kleid ist reich. Er küßt die schmalen Hände. Er hört sich lachen.
    Sie betreten einen Saal. Die Schatten fliegen über die Wän-de. Die Fenster sind leer. An der Decke hängen Fledermäuse.
    Der Boden ist ein Spiegel. Die Opferschale glüht blau. Der Rauch steigt senkrecht. Er reicht dem Fremden die Hände. Das Licht wird dunkel. Die Schatten lösen sich von den Wänden.
    Die Luft singt. Die Fledermäuse an der Decke schwanken wie 8

    kleine Glocken hin und her. Die Fenster drehen sich. Er sieht den Folterknecht.
    Eine unförmige Riesengestalt. Eiterbeulen starren. Eine ver-weste Fratze schimmert. Ein Auge glotzt rot. Der Augenstern ist ein Geschwür. Der Mund geifert. Er flieht.
    Er geht durch die Gassen. Sein Schritt wird ruhiger. Er ist entschlossen, nie mehr zurückzukehren. Seine schmalen Hände spielen mit dem Stock. Die Sonne geht auf. Die Häuser leuchten. Der Himmel ist ein weites Meer. Die Menschen gehen an die Arbeit. Ein Mädchen lacht ihn an.
    Er tritt in ein Haus. Die Mauern sind weiß. Die Hunde ziehen sich zurück. Die Diener verbeugen sich. Er küßt die Kinder. Eine Frau kommt. Sie ist zart. Das Haar ist blond. Ihr Fuß ist klein. Er lacht. Sie umarmt ihn. Er fährt ihr über die Brust.
    Die Nacht ruht. Der Tag ist fern. Das Zimmer atmet regelmäßig. Die Dunkelheit ist warm. Sie liegt nackt. Ihre Haut ist wie eine Wolke.
    Die Tage wandeln. Die Monate steigen. Ein Jahr vergeht.
    Die Gassen sind leer. Die Hände spielen mit dem Stock. Das Silber blinkt. Der Himmel lastet auf der Erde. Der Boden ist weiß. Der Schnee knirscht. Er geht durch eine Allee. Ein Ast liegt auf dem Schnee. Ein kleines Kind schreit. Der Ast ist wie eine Folterzange.
    Er sitzt im Sessel. Es ist dunkel. Er trinkt. Der Wein ist altes Blut. Die Finsternis kriecht in die Poren. Die Stille martert.
    Das Kaminfeuer lodert rot. Die weiße Mauer daneben hat einen Riß. Er schlägt mit dem Absatz des Stiefels den Mörtel ab. Quader
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