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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Kampf wieder begann, Seite an Seite mit dem Sohn in einem Zimmer verschanzte, sich aufs wütendste, ohngeachtet, daß die Villa, von Handgranaten halb zerstört, in Flammen aufging, gegen die Übermacht verteidigte, die Angreifer, die sich hinter den Bäumen und Büschen des Parks verbargen, immer wieder in die Flucht schlagend und den Boden mit Leichen bedeckend, bis der Sohn, durch eine Kugel, die ihm die Schulter zerschmetterte, schwer verwundet, in der Ecke des Zimmers, wo er blutüberströmt lag, halb erstickt durch eindringenden Rauch, heftige Flüche gegen den Vater ausstoßend, ihm vorwarf, er habe ihn zu einer Bestie gemacht, so daß die Menschen ihn, obgleich er nicht wisse warum, wie ein Tier verfolgten und mit Hunden hetzten, worauf der Vater, ohne mit der Wimper zu zucken, den Sohn niederschoß.

    16

    Der Alte
    1945

    So mächtig kamen die Schwärme der Panzer über die Hügel, daß jeder Widerstand unmöglich wurde. Trotzdem kämpften die Männer, vielleicht, daß sie an ein Wunder glaubten. In einzelne Gruppen aufgeteilt, gruben sie sich in die Erde.
    Einige ergaben sich, die meisten fielen und nur wenige entka-men in die Wälder. Dann hörte der Kampf so plötzlich auf, wie Gewitter bisweilen aufzuhören pflegen. Wer noch lebte, warf die Waffen weg und lief mit erhobenen Händen dem Feind entgegen. Das Entsetzen lähmte die Menschen. Die fremden Soldaten breiteten sich über das Land wie Heuschrecken. Sie zogen in die alten Städte ein. Sie gingen mit schweren Schritten durch die Gassen und trieben die Leute in die Häuser, wenn es Abend wurde. Durch die Dörfer rollten schwere Panzerwagen, oft mitten durch die Hütten, die über ihnen zusammenstürzten, denn in den Dörfern war der Widerstand noch nicht erloschen. Es war ein Widerstand, der im Geheimen glomm, in den Augenwinkeln der Knaben, in der bedächtigen Bewegung der alten Männer, im Schreiten der Frauen. Es war ein Widerstand, der die Luft verpestete, daß die Fremden wie in Ländern atmeten, in denen eine Seuche ausgebrochen ist.
    Aus den Wäldern tauchten Männer auf, bald einzeln, bald in Gruppen, und verschwanden wieder in den undurchdringlichen Forsten, wohin zu folgen kein Fremder wagte. Noch gab es mit dem Feind keine Zusammenstöße, aber Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet hatten, wurden tot aufgefunden. Dann 17

    kam der Aufstand. Die Jünglinge und Greise warfen sich mit alten Gewehren auf den Feind, der wie vom Alpdruck befreit zuschlug; es wurden Weiber gesehen, die mit Heugabeln und Sensen angriffen. Eine Nacht und einen Tag dauerte der Kampf, dann brach der Aufstand zusammen. Die Dörfer wurden umzingelt, die Einwohner zusammengetrieben und mit Maschinengewehren niedergemacht. Die brennenden Wälder erhellten wochenlang die Nächte.
    Dann wurde es still, wie es in Gräbern still wird, wenn die Erde den Sarg deckt. Die Menschen gingen einher, als wäre nichts geschehen. Sie begruben ihre Toten. Der Bauer kehrte zum Pflug zurück, der Handwerker zu seiner Werkstatt. Aber tief in ihnen war mächtig geworden, was sie nie zuvor gekannt hatten: es war der Haß. Er nahm sie ganz in Besitz, erfüllte sie mit glühender Kraft und bestimmte ihr Leben. Es war nicht ein wilder ungeduldiger Haß, der vorschnell handeln muß, um leben zu können, es war ein Haß, der warten konnte, jahrelang, der still in ihnen ruhte, nicht auf der Oberfläche, sondern ganz in der Tiefe, eins mit ihrem Wesen, der keinen Ausweg nach Außen brauchte, sich vielmehr wie ein Schwert in die Seele bohrte, aber nicht um diese zu vernichten, sondern sie durch seine Glut zu stählen. Aber wie das Licht jener Sterne, die in ungeheuren Fernen sich bewegen, den Weg zu uns findet, so fand dieser Haß den Weg zu einer Gestalt, die ganz im Hintergrunde war, irgendwo im Unaufhellbaren, unsichtbar wie viele Gestalten des Abgrundes, von der sie nichts Bestimmtes wußten, als daß von ihr alle die Schrecken der Hölle ausgingen, die sie erdulden mußten, und so sehr richtete sich der Haß der Unterdrückten gegen diese Gestalt, die sie den Alten nannten, daß ihnen die fremden Soldaten gleichgültig wurden und oft lächerlich vorkamen. Sie witterten mit dem Instinkt des Hasses, daß diese Menschen, die alle gleich aussahen in ihren Uniformen und Stahlhelmen und ihren kurzen schweren Stiefeln, sie nicht aus Grausamkeit quälten, sondern weil sie 18

    ganz in der Gewalt des Alten waren. Diese Soldaten handelten als willenlose Instrumente, ohne Freiheit, ohne Hoffnung, ohne
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