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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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kommen hervor. Er steht auf und geht hinaus. Er peitscht die Hunde tot.
    Die Stunde naht. Er gibt ein Fest. Der Saal lärmt. Die Tische biegen sich. Die Lichter flackern über die Gesichter. Die Frauen haben runde Schultern. Die Männer lachen. Die Schatten fliegen über die Wände. Eine Zote wiehert herüber. Er 9

    küßt. Sie reißt das Kleid auf. Der Wein strömt über den Tisch.
    Blut versickert. Er springt auf. Er eilt weg. Er springt durch die Gassen. Die Häuser pfeifen. Die Türme wachsen pfeilschnell in den Himmel. Die Gasse senkt sich. Die Häuser rücken zusammen. Sie versperren ihm den Weg. Er macht sich Platz und stürzt in den Saal. Die Opferschale ist zerbrochen. Die Fenster starren ihn an. Der Boden ist bedeckt mit toten Fledermäusen. Er wartet. Seine Lippen zittern. Der Folterknecht kommt nicht.
    Er schleicht zurück. Der Himmel ist kalter Schiefer. Sein Haus ist bleich. Seine Frau schläft. Sie liegt still. Ihr Haar ist wie Gold. Er hebt die Fackel. Feuer gießt sich über weißes Fleisch. Das Bett ist eine Folterbank. Jemand stöhnt. Das Blut ist rot.
    Er sitzt. Er schweigt. Das Licht ist grell. Die Menschen gehen an einem Fenster vorüber. Die Richter reden. Er steht auf.
    Die Richter sagen Worte.
    Der Gang führt immer tiefer. Er ist schmal. Der Boden ist aus Stein. Die Wände sind Quader.
    Eine Türe öffnet sich. Der Raum ist viereckig. Ein Feuer flackert ihm entgegen. Die Luft ist naß. Aus der Ecke löst sich ein Schatten. Zangen heben sich aus dem Feuer. Der Schatten kommt näher. Er schreit auf. Es ist der Folterknecht.
    Er ist an den Boden geschmiedet. Sein Mund brüllt. Die steinerne Decke fällt. Die Luft verklebt die Poren. Die Ge-wichte sind stöhnende Erdkugeln. Die Folterkammer ist die Welt. Die Welt ist Qual. Der Folterknecht ist Gott. Der foltert.
    Ein Mensch schreit:
    Warum bist du nicht gekommen?
    Gott lacht:
    Was soll ich wieder Mensch werden.
    Ein Mensch stöhnt:
    Was quälst du mich?
    Gott lacht:

    10

    Ich brauche keinen Schatten.
    Ein Mensch stirbt.

    11

    Die Wurst
    Winter 1943

    Ein Mensch erschlug seine Frau und verwurstete sie. Die Tat wurde ruchbar. Der Mensch wurde verhaftet. Eine Wurst wurde noch gefunden. Die Empörung war groß. Der höchste Richter des Landes übernahm den Fall.
    Der Gerichtssaal ist hell. Durch die Fenster stürzt die Sonne. Die Wände sind grelle Spiegel. Die Menschen sind eine brodelnde Masse. Sie füllen den Saal. Sie sitzen auf den Fenstersimsen. Sie hängen an den Kronleuchtern. Die Glatze des Staatsanwalts brennt rechts. Sie ist rot. Der Verteidiger ist links. Seine Brille sind blinde Scheiben. Der Angeklagte sitzt in der Mitte zwischen zwei Polizisten. Seine Hände sind groß.
    Die Finger haben blaue Ränder. Über allen thront der höchste Richter. Seine Robe ist schwarz. Sein Bart ist eine weiße Fahne. Seine Augen ernst. Seine Stirne Klarheit. Seine Brauen Zorn. Sein Antlitz Menschlichkeit. Vor ihm die Wurst. Sie liegt auf einem Teller. Über dem höchsten Richter thront die Gerechtigkeit. Ihre Augen sind verbunden. In der rechten Hand hält sie ein Schwert. In der linken eine Waage. Sie ist aus Stein. Der höchste Richter hebt die Hand. Die Menschen schweigen. Die Bewegung erstarrt. Der Saal ruht. Die Zeit lauert. Der Staatsanwalt steht auf. Sein Bauch ist eine Erdkugel. Seine Lippen sind eine Guillotine. Seine Zunge ist ein Fallbeil. Die Worte hämmern in den Saal. Der Angeklagte zuckt zusammen. Der Richter horcht. Zwischen den Brauen steht eine steile Falte. Seine Augen sind wie Sonnen. Ihre 12

    Strahlen treffen den Angeklagten. Der sinkt zusammen. Seine Knie schlottern. Seine Hände beten. Seine Zunge hängt. Seine Ohren stehen ab. Die Wurst vor dem höchsten Richter ist rot.
    Sie ist still. Sie schwillt. Die Enden sind rund. Die Schnur am Zipfel ist gelb. Sie ruht. Der höchste Richter sieht auf den niedrigsten Menschen hinab. Der ist klein. Seine Haut ist wie Leder. Sein Mund ist ein Schnabel. Seine Lippen getrocknetes Blut. Seine Augen Stecknadelköpfe. Seine Stirne flach. Seine Finger dick. Die Wurst riecht angenehm. Sie rückt näher. Die Haut ist rauh. Die Wurst ist weich. Sie ist hart. Der Nagel hinterläßt eine halbmondartige Spur. Die Wurst ist warm. Ihre Form ist mollig. Der Staatsanwalt schweigt. Der Angeklagte hebt den Kopf. Sein Blick ist ein gemartertes Kind. Der höchste Richter hebt die Hand. Der Verteidiger schnellt auf. Die Brille tanzt. Worte springen in den Saal. Die Wurst dampft.
    Der Dampf ist warm. Ein
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