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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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jeder Vorgang einen anderen Sinn erhielt und sich die Gattun-gen in einander zu vermischen begannen, indem eine Tragödie in eine Komödie verwandelt wurde, während sich ein Lustspiel zu einer Tragödie verfälschte. Auch hörten wir damals oft von Aufständen jener Unglücklichen, die gierig waren, ihr Los mit Gewalt zu verbessern, doch waren es immer noch wenige, die dem Gerücht Glauben schenkten, daß die treibende Kraft dieser Vorfälle bei ihm zu suchen wäre. In Wahrheit war es jedoch so, daß ihm von Anfang an das Theater nur als Mittel 37

    diente, jene Macht zu erlangen, die sich später als rohe Herr-schaft der schrecklichen Gewalt enthüllen sollte. Was uns in jener Zeit hinderte, diesen Vorgängen näher auf die Spur zu kommen, war der Umstand, daß sich die Sache der Schauspielerin für den Einsichtigen immer drohender zu gestalten begann. Ihr Schicksal war mit demjenigen der Stadt sonderbar verknüpft, und er versuchte sie zu vernichten. Als jedoch seine Absicht ihr gegenüber deutlich wurde, war seine Stellung in unserer Stadt so gefestigt, daß sich das grausame Geschick dieser Frau vollziehen konnte, ein Geschick, das allen verhängnisvoll werden sollte, und das auch jene abzuwenden nicht Macht besaßen, die das Wesen seiner Verführung durchschaut hatten. Sie unterlag ihm, weil sie die Macht verachtete, die er verkörperte. Es kann nicht gesagt werden, daß sie berühmt gewesen wäre, bevor er die Theaterleitung übernahm, doch hielt sie im Theater eine Stellung inne, die zwar gering, aber doch unangefochten war, auch hatte sie es der allgemeinen Achtung zu verdanken, daß sie ihre Kunst ohne jene Zugeständnisse ausüben konnte, die andere, die mehr be-zweckten und deren Stellung bedeutender war, der Öffentlich-keit darbringen mußten: Wie es denn auch bezeichnend ist, daß er sie durch diesen Umstand zu vernichten wußte, denn er verstand es, den Menschen zu Fall zu bringen, indem er seine Tugenden ausnützte.
    Die Schauspielerin hatte sich seinen Anordnungen nicht unterworfen. Sie schenkte den Veränderungen keine Beach-tung, die sich auf dem Theater vollzogen, so daß sie sich immer deutlicher von den andern unterschied. Aber es war gerade diese Beobachtung, die mich mit Sorge erfüllte, denn es war auffällig, daß er keinen Schritt unternahm, sie zu zwingen, sich seinen Anordnungen zu unterziehen. Daß sie sich abhob, war sein Plan. Zwar soll er einmal eine Bemerkung über ihr Spiel gemacht haben, nachdem er kurz zuvor das Theater übernommen hatte; ich habe aber über diese Auseinanderset-38

    zung nie Sicheres erfahren können. Doch ließ er sie seitdem in Ruhe und unternahm nichts, sie aus dem Theater zu entfernen.
    Er stellte sie vielmehr immer deutlicher in den Vordergrund, so daß sie mit der Zeit die erste Stellung im Schauspielhaus einnahm, obschon sie dieser Aufgabe nicht gewachsen war. So war es dieses Verfahren, das uns mißtrauisch machte, denn es war doch so, daß ihre Kunst und seine Auffassung in dem Maße entgegengesetzt waren, daß eine Auseinandersetzung unvermeidlich schien, die um so gefährlicher sein mußte, je später sie erfolgte. Auch waren Anzeichen vorhanden, daß sich ihre Stellung entscheidend zu ändern begann. Wurde zuerst ihr Spiel von der Menge begeistert und mit einer Einmütigkeit gelobt, die gedankenlos gewesen war (sie galt als seine große Entdeckung), so begannen sich nun Stimmen zu regen, die darauf ausgingen, sie zu tadeln und ihr vorzuwerfen, sie sei seiner Regie nicht gewachsen und ferner, es zeuge von seiner seltenen Geduld (und Menschlichkeit), daß er sie noch immer in ihrer führenden Stellung belasse. Doch da besonders ihr Verharren in den Gesetzen der klassischen Schauspielkunst angegriffen wurde, nahmen sie wieder gerade jene in Schutz, welche die wahren Mängel ihrer Kunst erkannt hatten, ein unglücklicher Kampf, der sie leider bestärkte, nicht freiwillig vom Theater zu gehen – sie hätte sich vielleicht so noch retten können, wenn ihm auch unsere Stadt kaum mehr zu entgehen vermocht hätte. Doch trat erst dann die entscheidende Wendung ein, als sich die Tatsache abzuzeichnen begann, daß ihre Kunst bei der Menge eine sonderbare Wirkung auslöste, die für sie peinlich sein mußte und die darin bestand, daß man über sie im geheimen und dann auch während der Vorstellung zu lachen anfing; eine Wirkung, die er natürlich genau berechnet hatte und immer mehr auszubauen versuchte. Wir waren bestürzt und hilflos. Mit der grausamen Waffe
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