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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs
Autoren: Henner Kotte
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Ein Gelegenheitskauf im Antiquariat und vielleicht ein Weg, die Kollegen besser kennenzulernen. Aber trotz der Lektüre waren ihm weder die DDR noch ihre altgedienten Mitarbeiter nähergekommen. Sosehr er sich mühte, er würde sie nie verstehen. Miersch blätterte.
    Die Geschichte der Deutschen Volkspolizei versteht sich als Teil der Geschichte des Entstehens und der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik, des zuverlässigen Schutzes der revolutionären Errungenschaften des werktätigen Volkes und des Kampfes zur Sicherung des Friedens.
    Es war eine Fremdsprache, die sich schwerer las als die Direktiven der Polizeidirektion.
    Mit den vorliegenden Bänden werden all jene gewürdigt, die mit ganzer Leidenschaft und Hingabe erstmalig in der deutschen Geschichte eine wahrhafte Polizei des Volkes geschaffen haben. Damit wird zugleich allen Volkspolizisten ein Denkmal gesetzt, die in Erfüllung ihres Klassenauftrages ihr Leben für den Schutz der Arbeiter- und-Bauern-Macht, für die Sicherheit der Bürger der DDR gaben.
    Miersch zwang sich zur Aufarbeitung ostdeutscher Geschichte.
    Es klopfte. Die Tür gab eigenartige Laute, dumpf, wie erstickt. Holz oder Kunststoff klangen anders. Presspappe, wahrscheinlich. Klopfte Margo? Sie hatte ihm sicher nicht den Frühstückstisch gedeckt.
    »Es ist Sonntag!«, rief er.
    »Eben.« Auch Margo schien schon am Morgen gereizt, und wahrscheinlich lag es an ihm. »Für dich! Telefon!«
    »Komme!« Ihre Schritte entfernten sich. Schwerfällig quälte sich Miersch aus seinem Bett. Er hatte es neu gekauft, denn Margo nutzte das Schlafzimmer und beide Ehebetten. Manchmal begegnete er in der Wohnung ihren Liebhabern und fragte sich, ob sie von ihm einen Gruß erwarteten. Miersch drehte den Schlüssel im Zimmerschloss. Einer von Margos Besuchern hatte einmal die Türen verwechselt und war zu ihm unter die Decke gekrochen. Er hatte gebrüllt. Margo hatte gelacht und den Jungen mit in ihr Zimmer genommen.
    Der Telefonhörer lag auf dem Bord unter der Garderobe. Fremde Mäntel am Haken entdeckte Miersch nicht. Die Klospülung rauschte.
    In diesem Moment kam Margo aus der Küche. »Kaffee?« Sie lächelte und nippte an einer Tasse. Im Flur klappte die Badtür. Miersch sah einen Schatten verschwinden. Offensichtlich lag dem Gast nichts an Konversation. Überhaupt wunderte Miersch sich, dass sie die Nacht so früh beendet hatten. In den Ehejahren war er wochenends stets zuerst aus den Federn gewesen. Vielleicht wollte Margo ihm ihren neuen Lover vorstellen. Er hatte nach ihrer Trennung einige ihm völlig neue Seiten an ihr entdeckt.
    Miersch griff zum Hörer. »Ja, bitte!« Er benutzte diese Floskel absichtlich. Seine Sekretärin hatte einmal erklärt, dass sich die Stasi mit diesen Worten am Telefon gemeldet habe. Andrea Dressel mochte den Spruch nicht mehr hören. Miersch hatte Ja, bitte! kultiviert.
    Die Bereitschaft informierte den Kriminaldirektor. Unnatürlicher Todesfall. Neurophysiologisches Rehabilitationszentrum Leipzig, Bennewitz. Sein Kommen sei nicht erforderlich.
    »Danke«, sagte Miersch. Hinter ihm stand Margo in der Tür und hielt ihm eine dampfende Tasse Kaffee entgegen. Er fühlte sich bedrängt. »In einer halben Stunde bin ich da.«
    Margo zuckte die Schultern, raffte ihren Bademantel über dem Dekolleté. In der Wohnung schlug eine Tür. Beide nahmen keine Notiz davon.
    Miersch ging in sein Zimmer. Sie hatten die Zimmer im Einvernehmen geteilt. Er schlief im Zimmer für Gäste mit separatem Klo und Bad. Der Kleiderschrank war geräumig. Miersch wühlte, er suchte nach der passenden Krawatte. Er wählte blau mit einem abstrakten Muster. Irgendjemand drehte an der Lautstärke einer Wunschsendung im Radio. Die Wohnung hallte wider von Und nun grüßen wir herzlich Opa Albrecht aus …
    Miersch war auf der Flucht. Er wollte den Sonntagmorgen weder mit Margo noch ihrem Gast verbringen. Ohne den Anruf hätte er sich den Vormittag lang im Zimmer vergraben und sich über Die Geschichte der Deutschen Volkspolizei informiert. Jetzt fuhr er nach Bennewitz. Er kannte den Ort nicht, aber zum Regierungsbezirk musste er gehören. Neurophysiologisches Rehabilitationszentrum Leipzig klang nach Peripherie der Großstadt. Er hatte nicht gefragt, was diesen Tod unnatürlich erscheinen ließ. Dass man im Krankenhaus starb, war ja nicht ungewöhnlich. Neurophysiologisches Rehabilitationszentrum … Selbstmord? Wahnsinn? Unfalltod?
    Als Miersch die Wohnung verließ, saß Margo allein am
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