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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs
Autoren: Henner Kotte
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Gedicht für den Unterricht tagelang geübt und die Familie in Depressionen getrieben. Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße / und diese Reihe ist zerfallene Brust. / Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich. Alexia spendete dem Förderverein für die Hospizbewegung. Kohlund fand keine Erklärung, warum jemand einen Sterbenden tötete. Und Mord war es. Eindeutig. Die Gerichtsmedizin würde den Fakt nur bestätigen. So war Stuchliks Tod doch noch eine Überraschung.
    »Verwandte?«, fragte Kohlund.
    »Sie haben regelmäßig an seinem Bett gestanden. Viele Freunde. Kein Tag ist vergangen, ohne dass ihn jemand besucht hätte.«
    Dr. Barthelmes sprach routiniert, als ob er eine Diagnose diktierte. Jetzt sah und hörte Kohlund dem Arzt keine Emotion mehr an, falls er die Geste vorhin überhaupt richtig gedeutet hatte. Er wandte seinen Blick ab, niemals würde er sich an den Anblick von Leichen gewöhnen. Doch Dr. Barthelmes arbeitete, wo gestorben wurde und Rettung kaum möglich war. Auf einer solchen Station könnte Kohlund nicht den Dienst versehen, zu groß erschienen ihm die Belastung und der Stress. Und sein Mitleid konnte er nicht verstecken. Selbst jetzt nicht. Er überwand sich und schloss dem Toten die Augen. Es ging weniger leicht, als er es sich vorgestellt hatte. In Filmen fuhren die Hinterbliebenen den Toten immer nur leicht über die Lider. Kohlund musste die Prozedur mehrmals wiederholen, bis die Augen geschlossen blieben.
    »Wir haben hier nichts verändert.« Schwester Monique rechtfertigte sich, ohne dass Kohlund ihr einen Vorwurf gemacht hätte. Augenscheinlich hatte sie ihr Gespräch mit dem zweiten Bestatter beendet und den Abtransport der Leiche geregelt. »Soll doch alles so bleiben, wies war, sagen sie immer, die Polizisten.«
    Die Polizisten aus dem Film, dachte Kohlund, die sagen das immer. Vielleicht war der schnippische Tonfall Moniques Ausdruck ihrer Anteilnahme. Kohlund war selbst unsicher, aber er gönnte Frank Stuchlik seine letzte Ruhe. Jetzt sah er aus, als ob er schliefe. Entspannt. Ruhig. Die Falten geglättet, von Schmerzen befreit. Sie würden eine Erklärung für seinen Tod finden. Kohlund musste es dem Toten nicht versprechen.
    »Hatte er auch gestern Besuch?«, fragte er.
    »Sicher.« Schwester Monique wich seinem Blick aus. »Frank Stuchlik ist nicht unser einziger Patient. Wenn auch ein sehr netter … Aber wir haben nicht drauf geachtet.« Sie schien sich aufzublasen, die Hände in die Hüften gebohrt, suchte sie jetzt Kohlunds Blick. Er schaute zu Dr. Barthelmes.
    Der nickte. »Vor lauter Arbeit sehen wir nicht alles.«
    Die Vorstellung, in einer solch klinischen Atmosphäre sterben zu müssen, empfand Kohlund als immer größer werdenden Horror. Für sich wollte er den Tod möglichst ganz schnell, möglichst bei bester Gesundheit, möglichst geistig aktiv und ohne Leiden. Aber das wünschte sich jeder. Sicherlich hatte auch Frank Stuchlik sich diesen Tod nicht ersehnt. Aber Kohlunds sämtliche Klienten starben auf unnatürliche Weise. Gewaltsam ums Leben kommen, das wollte keiner … Mein Gott, für diese Gedanken hatte er einfach den falschen Beruf.
    »Seine Frau und die Kinder sind fast täglich gekommen. Sie waren auch gestern bei ihm. Sicher noch andere. Als hätten sie es geahnt …« Schwester Monique überlegte. »Aber beim besten Willen … Sie müssen die Spätschicht fragen.«
    »Glauben Sie, dass seine Verwandten …« Dr. Barthelmes führte sich die Hand um den Hals und blickte Kohlund offen ins Gesicht, sprach den Satz aber nicht zu Ende.
    Dieser Gedanke war Kohlund bislang noch gar nicht gekommen. Aber der Arzt wollte eine Antwort, so wie er Kohlund jetzt ansah.
    »Ausschließen kann ich nichts.« Eine Floskel, die jeder Kommissar gern von sich gab.
    »Ein paar Dinge können Sie schon ausschließen.« Dr. Barthelmes referierte wie Miersch über die Statistik der Straftaten. »Herr Stuchlik ist erst in den Morgenstunden gestorben. Frühestens Mitternacht. Da konnte ohne Anmeldung kein Besuch an seinem Bett wachen. Wir kontrollieren und schließen dann ab.« Er sprach sicher und autoritär. »Körpertemperatur und vegetative Funktionen habe ich sofort gemessen. Keinesfalls vor Mitternacht, eher später.«
    »Das haben Sie ja schon gesagt.« Kohlund klang aggressiver, als er wollte. Wenn er das Personal gegen sich aufbrachte, würden die Ermittlungen nur schwieriger. Er versuchte zu lächeln. »Aber jemand muss im Zimmer gewesen sein. Vielleicht
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