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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs
Autoren: Henner Kotte
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reputationsträchtig war der nämlich keinesfalls. Aber er würde seinen Sessel nicht unehrenhaft, gezwungenermaßen räumen. So nicht!
    Machern. Jetzt war er in Machern! Nicht Würzen und nicht Bennewitz. Machern! Aber noch immer diesseits der Mulde. Das durfte er keinem erzählen, dass er seit über einem Jahrzehnt in Leipzig Dienst tat und wohnte, aber die Umgegend nicht kannte. Margo war mit ihren Freundinnen sämtliche Strecken mit Fahrrad oder Auto abgefahren von Tagebausee bis Dahlener Heide, von Heuersdorf bis Petersberg/Halle, von Altenburg bis hin nach Wittenberg. Die Damen besuchten Sonderausstellungen in Dresden, Wörlitz und Oberwiesenthal und erschienen bei jedem Volksfest im Rudel. Miersch hatte sich diesen Aktivitäten immer verweigert. Jetzt musste es ihn nicht wundern, dass er sich im Umkreis von zwanzig Kilometern von Leipzig verfuhr. Machern.
    Eine von diesen gesellschaftsrelevanten Freundinnen seiner Gattin hatte vornehm und luxuriös in Machern geheiratet. Margo hatte sich ein Kleid schneidern lassen, dem Anlass gemäß und dem Ambiente. Miersch glaubte sich zu erinnern, in Reiseführern gelesen zu haben, ein Fürst habe ums Schloss einen Park anlegen lassen, der für die Landschaftsgärtnerei bedeutsam wurde. Nun also Machern. Er versuchte, die Hauptstraße zu finden.
    Vor einer Ampel stand ein Schild. Die Schrift war im Regen und aus der Ferne kaum zu entziffern: Neurophysiologisches Rehabilitationszentrum Leipzig. Von wegen Leipzig! Machern, und es sollte in Bennewitz liegen. Miersch fuhr geradeaus. Nächstes Schild links. Einfamilienhäuser säumten die Straße. Margo wäre gern in solch eine Siedlung auf dem Lande gezogen. Die Großstadt blieb ihr immer verhasst. Er hätte Leipzig lieben können, selbst den Dialekt. Aber zu viele hatten etwas dagegen. Menschenschlächter! Monster! Mörder!
    Der Glas-Beton-Bau, zweiflüglig mit großen Fenstern, hätte ebenso eine Konzernzentrale, ein Bürohaus oder ein Einkaufszentrum sein können. Das Zentrum war auf die Wiese gerotzt. Angesicht der Masse an Autostellplätzen hätte man meinen können, das Gebäude sei ein Besuchermagnet. Ein paar kleine Wege erweckten die Illusion eines Krankenhausparks. Die wenigen Besucher liefen mit gesenkten Gesichtern zum Einlass. Hinter den Scheiben sah Miersch Menschen warten. Er hatte eine solche Zauberberg- Atmosphäre nie gemocht. Sie machte selbst Gesunde zu Patienten. Aber Nächstenliebe und Familienpflicht verboten Wegsehen und Fernbleiben, die Leugnung von Sterben und Tod. Und so fuhren die Freunde und Angehörigen hinaus zu den Kranken, um denen ein bisschen von der Welt zu erzählen, an der sie nicht mehr teilhaben konnten. Der Kriminaldirektor dachte mit Schaudern an seine Eltern und Tante Gertrud.
    Miersch erkannte auf dem Parkplatz den Kleinbus der Kriminaltechnik, die anderen Einsatzwagen standen wahrscheinlich daneben. Hier war er richtig. Er stellte sein Auto in die letzte Bucht, weit von den Kollegen entfernt, als ob er nicht dazugehören wollte.
    Aus der Nähe wirkte das Gebäude des Rehabilitationszentrums fremdartig wie ein gelandetes Ufo. Wolken spiegelten sich in der Glasfront. Makellose Wege und Straßen betonten die Fremdartigkeit, es wirkte losgelöst von Landschaft und Bevölkerung. Der Wald hinter der Straße schien abweisend wie eine schwarze Wand. Kein Patient würde sich dahin zu Specht oder Eichkatz, geschweige denn Kobolden und Hexen verirren. Es wirkte wie der Knast in Wachau. Nur die Mauer fehlte. Der Regen machte das Gebäude noch lebloser und einsamer. Es erschien kalt. Noch im Foyer war die Kälte zu spüren.
    Miersch wusste nicht, warum, aber dieses Krankenhaus enttäuschte alle seine Erwartungen. Nur konnte er auch nicht erklären, was er erwartet hätte. Sterilität und Sauberkeit waren Voraussetzungen einer Genesung. Durch die großen Fenster konnte man zumindest ein bisschen Natur und Himmel sehen. Stühle gaben den Blick auch im Sitzen frei. Ein junger Mann schob dem Kriminaldirektor eine Oma im Rollstuhl entgegen. Die lächelte freundlich. Miersch bemühte sich zurückzulächeln.
    »So ein Wetter! Da fällt es nicht schwer, hier drinnen zu sitzen«, sagte die alte Frau und schien ihm die Hand reichen zu wollen.
    »Ja. Ja.« Miersch ignorierte den Gruß und wusste nicht, was er noch sagen sollte. Betreten ging er weiter.
    »Noch zwei Wochen, haben die Ärzte gesagt«, rief ihm die Alte hinterher. »Nur noch zwei Wochen!«
    Wahrscheinlich meinte sie ihren eigenen Tod.
    Die
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