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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs
Autoren: Henner Kotte
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milden Licht des Morgens so attraktiv. Kohlund spürte noch immer Alexias Ohrläppchen auf seiner Zunge. Sie hatte wie eine Katze geschnurrt. Das Telefon hatte ihn aus allen Fantasien gerissen und Alexia endgültig geweckt. Scheiße! Er hatte seinen Hintergrunddienst völlig vergessen. Sonntag. Natürlich!
    »Dass keiner abnimmt …« Schwester Monique schüttelte den Kopf. Der Anrufbeantworter brachte sie aus ihrer Routine. »Ich probiere eine andere Nummer.«
    Wahrscheinlich hatte das Krankenhaus einen Exklusivvertrag mit dem Bestattungsinstitut, und die Stationsschwester rechnete mit einer Strafe, weil sie einen anderen Bestatter bestellte. Die Zunge zwischen den Zähnen, hämmerte sie verbissen eine neue Melodie ins Handy. Kohlund sah aus dem Fenster. Tropfen schlierten die Scheibe hinunter. Sauwetter. Und Sonntag.
    Das Neurophysiologische Rehabilitationszentrum lag trutzig auf einer Wiese neben dem Wald. Obwohl er auf der angegebenen Strecke gefahren war, hatte Kohlund diese Einrichtung zuerst verfehlt. Er hatte ungewollte Umwege durch geputzte Wohnanlagen und Einfamiliensiedlungen genommen. Niemals würde er seine Platte gegen einen solchen Besitz tauschen. Hier saß man ja dem Nachbarn fast auf dem Tisch, da war daheim der Weg von der Couch bis zum Bierkasten weiter. Und dann grüßten vielleicht noch Kriminaldirektor Miersch oder Kollegin Schabowski hinter dem Zaun. Schreckliche Vorstellung. Der Lagevorteil solcher Buden war auf den ersten Blick Ruhe, Natur und raus aus der City. Aber auch Grünau mit seinen Neubauten lag außerhalb des Zentrums an Badesee und Wald. Nein, er und seine Familie würden nicht umziehen, egal wie oft ihnen die Schwiegereltern, gute Freunde oder Kollegen die Nachteile der Banlieue aufzählten. Die Kohlunds blieben aus Prinzip und dem schlechten Ruf zum Trotz im Beton wohnen. Viele der angeblichen Katastrophen und Horrorszenarien in den Betonburgen waren sowieso nur Gerede. Kohlund konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, jemals bei einem Mord in Grünau ermittelt zu haben.
    Jetzt stand er in einem Haus aus Glas und Beton vor einem Toten, der die letzten Monate seinem Ende entgegengelitten hatte. Noch nach seinem Tod schien der Patient zu leiden. Die Augen waren fast in ihren Höhlen verschwunden. Sie blickten starr an die Decke, bisher hatte sie keiner geschlossen. Graugrün. Das Neonlicht spiegelte sich darin. Es war seltsam, einen so nah vor dem Tod gewaltsam aus dem Leben zu holen.
    »Wie alt?«, fragte Kohlund.
    »Keine vierzig.«
    Er war dankbar, dass er bereits jetzt länger gelebt hatte als der Tote. Kohlund suchte am Bett nach einem Namen. Wahrscheinlich hing das Schild vor der Tür.
    »Er war Kulturwissenschaftler. Promoviert.« Dr. Barthelmes klang bedauernd. Akademische Qualifikationen waren kein Garant für ein längeres Leben. Niemand konnte einem das garantieren, auch wenn Lebensmittel- und Sportindustrie oder der Gesundheitsminister es ständig versprachen. Rauchen schadet Ihrer Gesundheit und kann zu einem schnelleren Tod führen. Wahrscheinlich hatte dieser Tote nicht mal geraucht. Frühstückszerealien oder Vitaminbomben hätten ihm nicht mehr geholfen. Geräte hatten sein Leben verlängert. Jetzt waren sie abgestellt. Aus. Auch in den Monitoren spiegelte sich das kalte Neonlicht.
    »Gerettet hat ihn Ihre Maschinerie nicht.«
    »Aber auch nicht getötet. Er hat länger gelebt.«
    »Länger gelitten.« Kohlund beugte sich über das Opfer. Die Spuren äußerer Gewaltanwendung waren eindeutig. Der Tote war nicht mit der Hand gewürgt worden. Aber für einen Strick waren die Drosslungsmerkmale zu schmal. Sie ließen auf Draht oder ein Plasteseil schließen. Wäscheleine oder Elektrokabel.
    »Wie heißt der Verstorbene?«
    »Frank Stuchlik. Sieben Monate lag er hier auf der Onkologie.«
    Der Arzt wischte sich über die Augen und schien noch im Nachhinein mit dem Patienten zu leiden. Er bemerkte Kohlunds Blick, straffte sich und fiel in die berufliche Abgebrühtheit der Mediziner. »Wir konnten nichts mehr für ihn tun.«
    Kohlund fragte sich, warum der schwer krebskranke Frank Stuchlik dann auf einer Intensivstation lag. Intensiv bedeutete, hier wurden Leben gerettet. Doch Stuchlik hatten die Ärzte, selbst Dr. Barthelmes, längst aufgegeben. Es hätte keinen vom Personal gewundert, wenn Frank Stuchlik bald seinem Leiden erlegen wäre. Kohlund sah sie vor sich, die Krankensäle und Palliativstationen. Er hätte Gottfried Benn rezitieren können, Gisbert hatte das
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