Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
sich in der Kajüte, erwartete verzweifelt die Schiffsglocke. Endlich fuhren sie. Er ging hinauf. Da lag St. Barbara, genau so unheimlich schnell, wie es gestern größer und größer geworden war, wurde es jetzt kleiner und kleiner.    Hull fuhr zusammen. Das Glas vor ihm auf dem Tisch war leer, ein Kreisrund Hauch daran, sonst war nichts. Er hatte jetzt die Hände auf den Knien wie die andren. Er sah sich um, er fing an, ihre Gesichter zu unterscheiden und sich einzeln einzuprägen. Der Wirt, der über dem Schenktisch döste, spitzte auf einmal die Ohren. Dann lief er hinaus. In der Stube regte es sich. Einer kratzte sich, der andre wippte den Fuß. Sie horchten. Draußen gab es eine heisere Stimme, Tritte und Knurren. Das Mädchen vom Dampfer kam herein. Sie war durchnäßt und glatt wie eine Maus aus einer Pfütze. Ihre Glieder, ihr Bündel, ihre Röcke, alles tropfe. Sie lief, ihr verheultes Gesicht der Wand zugekehrt, quer durch das Zimmer. Sie lief auf die Treppe, drehte sich nochmal zurück und drückte mit einer freien Hand die Spieluhr an. Einer sagte: „Desak, das ist mal ein Empfang!" – Der Wirt sagte: „Sie ist schon am Morgen gekommen, sie soll sich nicht drunten rumtreiben. Wer was von ihr will, soll raufommen." Jetzt ging die Tür öfers. Sie kamen mit weichen, gespreizten Schritten, wie auf dem Wasser. Wenn einer was bestellte, erhob sich der Wirt widerwillig, schenkte verdrießlich ein und rollte sich wieder über dem Tisch zusammen. Nach einer Weile kam das Mädchen herunter. Sie hatte sich geputzt, aber sie sah verfroren aus mit ihrem bloßen Hals, der dürr wie eine Gräte war. Ihre schwarzen Zotteln waren noch immer naß. Hull dachte, was alle dachten, er möchte sie packen, mit ihr schlafen, die scharfen Kanten ihres Körpers gegen sich fühlen. Sie lief hinter ihm vorbei, machte sich was hinter seinem Rücken zu schaffen. Er mochte sich nicht rumdrehen. Er hörte: „Los, Marie!" rufen, Marie pfiff, ihre Absätze klapperten. Hull gegenüber saß ein junger Bursche, er kam ihm bekannt vor, der betrachtete über Hulls Schulter unverwandt das Mädchen, die Begierde machte sein junges braunes Gesicht noch jünger und schöner. Marie fing an zu singen, jetzt drehten sich alle herum: Auf dem alten Hauptmann Kedel seiner Frau ihrem Hintern,
    Da geht wirklich drauf ein ganzes Schock, Der Graf Vaubert und seine Söhne überwintern In dem Hauptmann Kedel seiner Frau ihrem Unterrock.
    Und die allerliebsten Herren von Godek Und der junge Bredel aus Sebastian, Und der alte Herr Bredel kommt manchmal auch noch dran,
    Und für den Herrn Hauptmann selbst bleibt auch noch of ein Fleck.
    Der Junge, der Hull gegenübersaß, lehnte seinen Kopf an Kedenneks Schulter und lächelte. Marie verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Aus ihren spitzen Ellenbogen, aus allen Ecken und Kanten ihres Körpers, wie aus den Kanten eines angeschlagenen Steines, spritzten kleine Fünkchen ab. Sie sang weiter: Die „Alessia", als sie einfuhr in Sebastian –
    Der Junge, Hull gegenüber, beugte sich mit aufgerissenen Augen über den Tisch. Er sah aber nicht mehr über Hulls Schulter, sondern Hull ins Gesicht. Unwillkürlich sahen auch die, die rechts und links von ihm saßen, auf denselben Fleck. Dann sahen alle hin. Hull wurde unruhig. Er zog sich zusammen, sah vor sich hin auf den Tisch. Ihre Blicke wurden starr und zornig, verlangten von seinem Gesicht sich aufzurichten, so auszusehen, wie sie erwarteten. Hull erhob sich plötzlich, um zu erklären, wer er sei. Der Junge atmete tief auf und lehnte sich wieder zurück. Sein Blick war immer noch auf Hulls Mund gerichtet.
      Hull hatte ihn wirklich schon einmal gesehen, am Morgen auf dem Landungssteg.
    Gerade hatte Hull zu sprechen angefangen, da flüsterte Kedennek dem Jungen etwas zu, der runzelte die Stirn und ging widerwillig hinaus. Auf der Schwelle zögerte er noch einmal, in der Hoffnung, zurückgerufen zu werden. Dann rannte er ein Stück die Höhe hinunter und bog auf den schmalen, nur von Einheimischen benutzten Weg zwischen den Klippen. Hinter seinen Schritten gähnte das Meer in der Dunkelheit, satt von Regen. Nur hier und dort flatterte etwas weißer Schaum um eine Klippe. Er hieß Andreas Bruyn und war ein Schwesterkind von Kedennek von der „Veronika". Seit seine Mutter beim Ausladen einen Fehltritt getan hatte, im selben Jahr, in dem sein Vater auf dem Rohak gekentert war, waren seine kleinen Geschwister unter die Verwandten verteilt und er selbst bei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher