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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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In der Stube schlief Marie. Hull war nochmal auf sie gestoßen, hatte sie unter der Achsel gefaßt, sie hatte gesagt: „jetzt nicht", hatte gezögert, er hatte sie gelassen, das war ja wohl nicht gut für so einen wie er, allzuviel um ein Frauenzimmer zu streichen. Er schlüpfe in das Loch, das hatte nur eine Tür zur Stube, einen Spalt im Dach, das Meer war gar nicht zu sehen. Er war auch entsetzlich müde, seit den Apriltagen von Port Sebastian war er immer unterwegs, immer auf dem Sprung, er machte sich nichts draus, nur machte ein Tag so müd, wie früher zehn.    Er legte sich zurecht, er hörte noch Schritte, treppauf, treppab, nebenan Krachen und Rascheln, die Schenke war dünn gebaut, bei Mariens Griffen schwankten nicht bloß die Bettplanken, die ganze Schenke seufzte von oben bis unten.    Hull schlief darüber ein. Gleich legte ihm der Schlaf was Weiches, Warmes gegen den Leib. Er faßte, wunderte sich noch, daß Marie gar nicht so spitzig und kühl war, wie er erwartet hatte, viel weicher und runder. Dann war es gar nicht Marie, sondern ein krauses gelbes Ding von irgendwo drüben. Er faßte an, dann hörte er draußen die Tür gehen, er dachte, jetzt muß ich weg, ließ sie los, gleich war es still, er fing von neuem an, dann kam es wieder, Stimmen, sie klopfen schon, er ließ wieder los, gleich wieder still, sie faßten sich, gleich neues Klopfen, die Lust verging ihm vor lauter Horchen, – mochten sie klopfen, er war fast dran, dann kam ein Schlag, die Tür sprang auf.    Er fuhr hoch, stieß mit dem Kopf gegen die Decke. Es war stockdunkel, tiefe Stille im Haus, und Ebbe draußen. Er dachte: Was weckt einen bloß immer? Möchte mich mal satt schlafen. Er legte sich auf den Rücken, versuchte an das zu denken, an was er am liebsten dachte, an die Apriltage von Port Sebastian. Das war nach der Meuterei auf der „Alessia", sie wollten ihn und seine Gefährten aus der Stadt transportieren, die Galgen standen schon im Kasernenhof des Kedelschen Regimentes, er brach aus, sie schossen ihn ins Bein, er fiel um, da kamen die Leute, sie hatten in langen stummen Reihen die Straße entlang gestanden, deckten ihn und brachten ihn weg. So hatte es angefangen, am nächsten Tag zog es durch ganz Sebastian; die Bredelschen Reedereien – drei Viertel des Hafens gehörte ihnen – schlossen ihre Büros, die Familien fuhren ab, tot lagen Hafen und Markthallen. In diesem April wurden die Forderungen der letzten zehn Jahre angenommen. Später, als die Gesellschaf fürs erste nachgab und Port Sebastian sich beruhigt hatte, legte der Präfekt das Kedelsche Regiment auf die Margareteninsel, bevor die Neufundlandfischer zurückgekehrt waren. Jetzt fingen sie auch an, ihn zu suchen, er war aber gar nicht zu Schiff, er war zwischen ihren Fingern auf der Insel. Er brauchte nur in die Hände zu klatschen, dann sprang der Aufstand aus ihm heraus, auf die Stadt, aus der Stadt über die Küste, vielleicht über die Grenze. Das mußte schon alles lange her sein, keine Monate, sondern Jahre. Auch er mußte damals anders gewesen sein, damals war er noch fröhlich, das war gut, wenn man lustig war, dann ging einem alles von der Hand, nie mehr war er so lustig gewesen, er wollte gerne, aber es ging nicht, damals war ihm auch der Gedanke gekommen, nicht herausschlüpfen, sondern gerade erst recht her nach St. Barbara. Jetzt hatte sich alles verändert, jetzt konnte es doch keine Schande mehr sein, wegzugehen, was konnte er denn für diesen Gedanken von gestern, wo er jetzt anders war, anders und nicht mehr fröhlich. Hull richtete sich auf. Sein Kopf war schwer, das war ein blöder Klumpen von Kopf. Er langte nach seinem Stiefel. Aber was langte er da herum im Dunkeln, das war ja Unsinn. Plötzlich, als ob sie in einem Winkel der Kammer gehockt und nur gewartet hätte, bis er ganz wach war, fiel solche Traurigkeit an ihn, fest an die Kehle. Am Morgen waren nur noch ein paar Strähnen Regen vom Landhimmel her gegen das Meer gespannt. See und Himmel waren ganz zerfetzt, es roch nach Salz, und der Wind zerflatterte Stücke gelben Sonnenlichts über den Fischmarkt. Früher, als St. Barbara noch der größte Fischereihafen der Küste gewesen war, kamen die Käufer von überallher auf den Markt geströmt. Jetzt aber war Sebastian dreimal, Wyk mindestens genau so groß. Die Reeder hatten ehemals selbst auf dem Platz in den beiden schönen Giebelhäusern gewohnt. Noch immer schwebten ihre Giebel wie die geschweifen Schwingen zweier
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