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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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Spaß machte, mit den Leuten umzugehen. Er schenkte eine Flasche Schnaps ein. Die meisten Leute, besonders die jüngeren, waren abgespart in ihren Bewegungen und schweigsam, weil sie nichts Verkehrtes sagen oder tun wollten. Aber drei oder vier kümmerten sich um nichts, sie spießten kleine Stücke Weißbrot auf ihre Taschenmesser, tunkten sie in die Gläser und zerdrückten sie mit aufgekniffenen Augen zwischen Zunge und Gaumen, um sich etwas an dem kostbaren Branntwein zu berauschen. Sie schlugen sich auf die Schenkel, als der junge Bredel – ihre Angelegenheiten waren schon erledigt – anfing, Witze zu erzählen.
      Unter den Kapitänen war einer, den man weder zu den Älteren noch zu den Jüngeren rechnen konnte und der sich überhaupt etwas abseits hielt. Das war Adrian Six von der Ursula. Er trank auch nichts, denn er hatte seit etlichen Jahren nichts getrunken, nicht geflucht und mit keinem Weibe, außer mit seinem eignen, geschlafen. Es wäre ihm lieber gewesen, Bredel hätte von etwas andrem gesprochen, aber er sah im höflich ins Gesicht. Bredel fing auch selbst von etwas andrem an. Seine Gäste antworteten ihm einsilbig und vorsichtig. Zwischen einigem Hinund Herreden sagte Bredel: „Der Vorschuß, den die Leute hierzulande nehmen, könnte bis in den Sommer reichen, wenn er nicht jedesmal auf dem Pfingstfest vertan würde."   Six nickte, er legte den Kopf auf die Seite, um Bredel noch besser ins Gesicht zu sehen, da sah er gerade hinter dem Schiebefenster Kedenneks Frau einen Korb vorbeitragen, sie benutzte den Bauch als Unterlage. Als ob er etwas ganz Sonderbares zu sehen bekäme, erhob sich Six und trat vom Tisch weg ans Schiebefenster. Er sah, was er immer sah. Über den hellen Platz trieb der Wind die wunderlichen Schatten der Wolken. Sogar das Wasser am Kai war weiß gescheckt. Die Wimpel der „Marie Farère" flatterten, es flatterten die Röcke und Haubenzipfel der Frauen, die unvergleichlich geschwungenen Giebel der Ziegelhäuser flatterten über den Marktplatz. Six glaubte den Wind zu spüren, da draußen zu stehen, wäre nicht der Hauch seines offnen Mundes gewesen. Gerade war der Aufseher heimgegangen, die Schlägerei war zu Ende, die Männer standen noch in zwei Gruppen gegeneinander. Six drehte sich um und ging aufs Zimmer. Er stieg die Kammer hinauf, die er für zwei Nächte mit seinem Freund teilte. Er holte die Bibel aus seiner Tasche. Er war in einem Dorfe, einen halben Tag von St. Barbara, aufgewachsen. Er hatte immer lieber gelesen als mit den Buben geangelt, vielleicht hatte gerade deshalb der Pfarrer das Geld aufgebracht, um ihn auf die Navigationsschule zu schikken. Er war kein beliebter Kapitän, zu gutmütig und wegen seiner Frömmelei verachtet. Vor einigen Jahren war er plötzlich aus der katholischen Kirche ausund in irgendeine Sekte eingetreten. Bevor er in die Navigationsschule gekommen war und bevor er seinen Glauben gewechselt hatte, überhaupt, wenn es eine Veränderung oder einen Kummer oder etwas Unbehagliches gab, hatte er jedesmal die Bibel aufgeschlagen, jedesmal an einer Stelle, die seinen Kopf weiter und heller machte. Auch jetzt schlug er auf und tappte mit seinem langen Zeigefinger auf eine Zeile. Es war die Zeile, in der der Hohlweg beschrieben wurde, durch welchen Bileam auf seinem Esel
reitet. Six zog den Finger ein und dachte nach. Er grübelte und grübelte, aber wie sehr er sich auch anstrengte, er konnte keinen Zusammenhang zwischen dem Hohlweg und den Fischern von St. Barbara entdecken.
    II
    D as gelbe Pünktchen Türklinke glimmte durch das Halbdunkel der beinah winterlichen Stube, in welcher die Kedenneks um den Tisch saßen. Es roch nach Atem, nach Nässe und nach Bohnen. Die Kinder waren zuerst fertig, sie schielten nach Andreas' Teller. Da lagen noch zwei Brocken, die gehörten ihnen, die kamen jedesmal, wenn alles vorbei war, nach rechts und links zu ihnen gerutscht. Sie schielten ungeduldig nach Andreas' Gesicht, jetzt war es Zeit, daß er blinzelte, lächelte, aber Andreas sah ganz wo anders hin. Mit Andreas war es so: die letzten Wochen hatte er nochmal einen Ruck getan, war fast so hoch wie Kedennek geworden, hungrig war er immer gewesen, aber seit kurzem hatte er einen andren, neuen Hunger. Der machte einen so leicht, machte alles so dünn und bunt, splitterte jetzt zum Beispiel kleine Fünkchen ab von der gelben Türklinke, den ganzen Nachmittag hatte Andreas an nichts andres gedacht, als an diese Bohnen, er hatte am Hafen gearbeitet,
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