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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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seinem Onkel untergebracht worden. Don schlief er unter der karierten Decke mit den beiden kleinen Söhnen, welche einen ebenso dünnen, krank riechenden Atem, ebenso hungrige Nasenlöcher und ebensolche blonden klebrigen Haarmützen hatten wie seine Brüder. Kurze Zeit, ja wenige Tage, nachdem er zu Kedenneks gekommen war, hatte er auf dem Fischmarkt, wo er zunächst den Platz seiner Mutter ausfüllte, einen Streit mit dem Reedereiaufseher. Der hatte ihn geheißen, die Fischkörbe auf den Kopf zu nehmen und nicht vornher zu drücken wie seine Mutter. Der Junge erwiderte, daß seine Mutter ja einen dicken Bauch gehabt hätte. Als ihm der Aufseher eine runterhaute, schüttete er vor seinen Füßen den Korb aus und lief davon. Im nächsten Sommer nahm ihn sein Onkel als Überzähligen mit auf die „Veronika". Der Kapitän jagte ihn von vorn nach hinten. Andreas war fröhlich, ruhig und anstellig. Einmal hatte er das Brot zum drittenmal zwischen den Zähnen, zum drittenmal, bevor er hereingebissen hatte, schickte ihn der Kapitän hinauf, da sah ihn Andreas an und erwiderte lächelnd, jetzt habe er Freizeit; der Kapitän schlug ihm eine runter, Andreas preßte die Lippe zu, bog den Kopf zur Seite, um den Schlag aufzufangen, wie er's von zu Hause gewöhnt war, dann hielt er sein Brotmesser, es klebte noch ein Happen Fett daran, dem Kapitän unters Kinn. Der Kapitän fuhr hoch, da waren die Blicke der Fischer, die um ihn herumsaßen, so sonderbar starr auf ihn gerichtet, ein harter Stacheldraht von Blicken, er sah über Andreas hinweg, lachte auf.
      Im nächsten Sommer konnte Andreas nicht mehr auf der „Veronika" fahren. Durch einen Zufall, zu lächerlichen Bedingungen, kam er auf der „Amalia" unter. Alle redeten Kedennek zu, den Jungen hinauszuwerfen, er brächte Unglück, nähme der Familie das Brot. Kedennek schwieg, er sagte auch nichts zu dem Jungen. Der war zu Hause anstellig und höflich und sanf, ein Schatten machte seine Bewegungen weicher, seine Worte leiser, als drückten ihn die Sorgen, die er über die Familie gebracht hatte. Er hielt sich ganz mit den Kindern; die Speckwürfelchen, die Kedenneks Frau abends zum Brot austeilte – sie waren schon jetzt im Oktober nicht höher als ein Fingernagel – schenkte er ihnen.   Jetzt hatte ihn Kedennek nach dem Boot geschickt. Die Arbeit hätte auch bis morgen Zeit gehabt. In diesem Augenblick haßte er Kedennek, der, wie es ihm jetzt schien, ihn ausnutzte. Aber sein Haß war schnell fort. Er wurde traurig. Er war allein. Er hatte schon keine Mutter mehr und noch keine Liebste. Er hatte gar kein Heim, außer der Stube voll Kameraden, aus der man ihn weggeschickt hatte. Kaum war Andreas eine Viertelstunde unterwegs, als sein Kummer nachließ. Er fand einen einfachen Trost: daß er heranwachsen und nicht mehr gehorchen würde. Er hatte solche Lust nach Freude. Er kannte sie noch gar nicht. Ein-, zweimal war sie flüchtig durch ihn hindurchgegangen, damals auf dem Fischmarkt, wie er die Fische weggeschmissen und quer über den Platz gerannt war, zwei Minuten lang hatten die Pf lastersteine gehüpft, die grauen Wände der Lagerhäuser geflimmert, aber das war schon lange her und auch damals nur zwei Minuten. Das andre Mal, das Messer zuckte ihm noch in der Hand, der Schlag brannte noch auf seinem Gesicht, eben war er noch allein und verzweifelt, da wuchsen plötzlich seine Gefährten rechts und links von ihm, schnell waren sie zwar eingeschrumpf, mürrische, gleichmütige Gefährten, aber einen Augenblick war alles anders gewesen. Andreas seufzte auf, er ging die Mole entlang, zum Seglerhafen, seinen Steg entlang, hüpfe in Kedenneks Boot. Er bastelte herum, der Regen ließ nach, rechts und links tropfe es vom Gezweig der Segler, hier und dort glimmte ein Laternchen und drunten im Wasser eine Ölpfütze, und weit hinten im Lagerhaus ein Licht, und noch mehr dort drüben in den Giebeln. Andreas hatte keine Lust auf Alkoven, er streckte sich aus. Es tropfe, das Boot bebte nur ebensoviel als er atmete. Er hatte Lust zu schlafen, aber er schlief nicht ein. Jetzt dachte er an Marie. Seit vorigem Sommer pflegte er immer beim Niederlegen an sie zu denken. Er hatte Neid auf seine älteren Gefährten. Die tranken sich voll, schwenkten quer durch das Zimmer, als ob sie nichts Besonderes vorhätten, kamen nach einer Weile herunter und setzten sich zu den andren. Andreas zog die Knie an, legte sich auf die Seite. Das Boot bebte, von irgendwo tropfe es eintönig auf seine
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