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Auf Umwegen ins Herz

Auf Umwegen ins Herz

Titel: Auf Umwegen ins Herz
Autoren: Sarah Saxx
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Beobachter, ähnlich wie ich. Irgendwann wurde er zum Anführer der Gruppe, und sein Selbstbewusstsein schien sich überdimensional vergrößert zu haben. Als wäre er süchtig nach der Anerkennung durch seine Freunde, drängte er sich regelmäßig in den Mittelpunkt, und irgendwann steigerte sich seine Arroganz so weit, dass ich, sofern es möglich war, jedes Zusammentreffen mit ihm mied.
    Während ich noch weiter mit den Gedanken in der Vergangenheit hing, machte ich mich fertig fürs Bett. Die erste Dreiviertelstunde des Hauptabendfilms hatte ich sowieso verpasst, und mittendrin einsteigen war etwas, das ich nicht ausstehen konnte – selbst dann nicht, wenn ich den Film schon mal gesehen hatte. Ganz davon abgesehen, dass ich mich heute selbst auf die spannendste Handlung nicht hätte konzentrieren können – mir schwirrte ein ganz anderes Kuriosum im Kopf herum.
    Lange Zeit lag ich wach und wälzte mich von einer Seite auf die andere. Erst weit nach Mitternacht fiel ich in einen unruhigen Schlaf, in dem der Teenager Julian mich mit schwingendem Lasso auf einem Pferd verfolgte, und aus seiner Pistole war jedes Mal, wenn er abdrückte, ein „Pling“ zu hören.

    „Mensch, Jana, du siehst erledigt aus! Hast du gestern Nacht eine Discotour gemacht?“ Isa beäugte mich mitleidig.
    „Wenn du wüsstest …“
    Als ich heute Morgen einen Blick in den Spiegel geworfen hatte, hatte mich fast der Schlag getroffen. So schlecht, wie ich geschlafen hatte, sah ich auch aus. Da ich mich, wie jeden Samstag um halb zehn, mit meiner besten Freundin im Fitnessstudio treffen würde, brauchte ich die Augenringe nicht einmal großartig zu überschminken. Nach spätestens fünfzehn Minuten auf dem Laufband würde mir das Make-up in Bächen in den T-Shirt-Kragen laufen. Also versuchte ich es mit einer großen Tasse Kaffee und kaltem Wasser im Gesicht. Die Haare band ich mir zu einem wilden Knoten mit vielen Spangen hoch, der hoffentlich bis zum Ende des Trainings halten würde.
    Während wir an der Bar auf unser Elektrolytgetränk warteten, erzählte ich Isa im Schnelldurchlauf von meiner Fassungslosigkeit vom Vorabend. Ihre Reaktion darauf war die gleiche wie meine – die Kinnlade klappte nach unten und verharrte dort für einige Sekunden.
    „Was will denn dieser Idiot von dir? Was ist denn mit den Männern los? Sind jetzt alle verrückt geworden?“
    „Tja, wenn ich das wüsste. Ich hab ihn das letzte Mal an meinem vierzehnten Geburtstag gesehen – mein letzter Besuch im ‚Boot’. Eine Woche zuvor war das Sommerfest.“
    „Ich dachte, du hast ihn nach danach nicht mehr gesehen?“
    „Naja, dieses eine Mal ließ sich leider nicht vermeiden. Ich hatte meine Geburtstagsfeier schon Wochen vorher angekündigt, und ich hab mich trotz allem sehr darauf gefreut. Ich ignorierte ihn, und das war auch nicht allzu schwer. Er hielt sich mit seinen ‚Jüngern’ am anderen Ende des Raumes auf, und ich denke, meine Blicke gaben ihm deutlich genug zu verstehen, dass er dort auch bleiben sollte.“
    Sofort spürte ich wieder diese Hilflosigkeit und Wut in mir, die Scham, die ich bei seinem ‚Gag’ empfunden hatte. Würde er das heute noch einmal mit mir machen, würde ich ihn wegen sexueller Belästigung anzeigen, soviel stand fest. Zumindest würde ich ihm eine scheuern, um mir das letzte Bisschen Würde zu wahren.
    Auch wenn ich ihm durch meine letzte Nachricht gestern unmissverständlich klargemacht hatte, dass er mir den Buckel runterrutschen konnte, wurde ich das ungute Gefühl nicht los, dass die Angelegenheit noch nicht beendet war.
    Alleine die Aussicht auf eine weitere Unterhaltung mit ihm brachte mich so in Rage, dass ich am Laufband rannte wie noch nie zuvor. Isa versuchte zwar noch die ersten Minuten, auf mich einzureden, aber, als sie merkte, dass ich auf ihre Versuche, mich zu bremsen, nicht einging, joggte sie in ihrem Tempo weiter und setzte ihre Kopfhörer auf. Nur hin und wieder warf sie mir einen skeptischen Blick zu.
    Isa, die ihren vollen Namen hasste wie die Pest („Ich hab mit der Twilight-Tante rein gar nichts gemeinsam! Und dieses ‚Ciao Bella‘ kann ich sowieso nicht mehr hören!“), kannte mich wahrscheinlich besser als ich mich selbst. Seit ich vor acht Jahren meinen ersten Arbeitstag in der Linzer Kunst & Partner Verlagsgesellschaft hatte, sitzt sie im Nebenbüro.
    Wir liefen uns das erste Mal bei der Kaffeemaschine über den Weg. Ab dem Moment, wo ich der knapp ein Meter achtzig großen Blondine in die
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