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Auf Schreckenstein gibt's täglich Spaß

Auf Schreckenstein gibt's täglich Spaß

Titel: Auf Schreckenstein gibt's täglich Spaß
Autoren: Oliver Hassencamp
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haben, um festzustellen, was sie noch lernen müssen. Sie haben sich hervorragend geschlagen. Hut ab vor den Giganten der Landstraße von morgen!“
    Die Zuschauer an der Strecke wurden unruhig, Beifall und Hochrufe wurden laut. Alle reckten die Hälse, traten vor und schauten die Straße hinunter. Und da kamen sie. Voraus ein Schmaler, im Sattel sitzend und mit kräftigen Tritten der Passhöhe zustrebend. Doktor Schüler drängte sich vor, um ihm die letzten Blätter seiner Zeitung zu geben. Der Fahrer schien ihn nicht zu bemerken. Doktor Schüler hob die Hand mit der Zeitung, doch statt sie ihm zu reichen, rannte er nebenher und hielt den tapferen Ritter des Pedals am Sattel fest. Die Kamera holte die Szene heran und durch das Wohnzimmer der Burg hallte es, wie vor einem entscheidenden Tor auf dem Handballplatz: „Aaaaandii!!!“
    Die Ritter schlugen sich auf die Schenkel, brüllten, warfen die Arme hoch und feierten den ersten Schreckensteiner im Fernsehen mit dem ganzen Schwung ihrer jungen Jahre. Auch der Rex bekam im Taumel der Begeisterung einen saftigen Schlag auf die Schulter.
    Dazwischen brüllte Rolle: „Da kommt Dampfwalze!“
    Tatsächlich. Abgekämpft in den Pedalen stehend, quälte sich Dampfwalze über die letzten Meter, direkt in die Arme von Doktor Schüler. Als er sich aufrichtete und vom Rad sank, erlebten Millionen in ganz Europa ein Schauspiel, das den Jubel auf der Burg jäh beendete: Sie sahen einen weinenden Ritter.
    „Buuuuuh!“ hallte es nach Sekunden der Bestürzung durch das Wohnzimmer.
    Dann plötzlich die helle Stimme des kleinen Herbert: „Der ist ja verletzt!“
    Alle starrten wieder auf den Bildschirm. Dampfwalze hatte den Kopf zur Seite gedreht. Von der Schläfe lief ihm das Blut herunter in den Kragen. Doktor Schüler hielt ihn am Kinn und betrachtete die Wunde, während Dampfwalze mit den Zähnen klapperte.
    „Die können sich auf etwas gefasst machen!“ sagte der Rex in sichtlicher Erregung.
    Da kam wieder die Stimme des Sprechers: „Dieser kleine Held hat die ganze Härte des Rennens erfahren. Ein rücksichtsloser Zuschauer, der über die Straße rannte, hat ihn aus dem Sattel geworfen. Solche Vorkommnisse sind bei einer Rundfahrt leider unvermeidlich.“
    Die Ritter sahen einander an. Dampfwalzes Missgeschick, in aller Öffentlichkeit erklärt, änderte natürlich einiges an dem Gesamteindruck. Doch der Jubel war verrauscht. Jetzt begannen die Diskussionen. Bis zum Abend hatten sich zwei Ansichten herausgebildet.
    „Andi war klasse! Aber Dampfwalze hat die ganze Wirkung zunichte gemacht!“ sagten die einen.
    „Dampfwalze war prima. Trotz Sturz hat er durchgehalten. Die Tränen kamen nur von der Kälte“, sagten die anderen.
    Nach dem Zubettgehen, als die Lichter längst gelöscht waren, wurde der Meinungsstreit im Flüsterton weitergeführt.
    So kam es, dass lange nach Mitternacht ein Motorgeräusch vom Burghof her wie eine Alarmglocke wirkte. Doktor Schüler hatte die beiden Pedalritter zurückgebracht. Während sie ihre Räder vom Koffergestell abschnallten, fand sich die gesamte Schule ein. Auch der Rex war aufgestanden und ordnete sofort eine Schulversammlung an.
    Übernächtigt, in Bademänteln und Pantoffeln, warteten die Schreckensteiner im Wohnzimmer. Erst nach einer geraumen Weile kam der Rex mit Doktor Schüler, Ottokar, Andi und Dampfwalze, der jetzt, statt des Pflasters, mit dem er eingetroffen war, einen leuchtend weißen Kopfverband trug.
    „Ich habe euch gleich zusammengerufen“, sagte der Rex, „weil ihr sonst die halbe Nacht weiterredet und morgen im Unterricht schlaft. Das Unternehmen von Dampfwalze und Andi war letzten Endes doch unverantwortlich. Solche Strapazen können leicht zu gesundheitlichen Schäden führen. Ganz davon abgesehen, dass ein Fernsehauftritt innerhalb eines Radrennens bei aller Sportbegeisterung doch mehr unter ,Angabe’ fällt. Auch wenn ein Reporter die beiden dazu ermuntert hat. Was ich anerkennen muss, ist die Sorgfalt, mit der sie ihr Unternehmen vorbereitet haben. Sie haben trainiert, um die lange Fahrt durchstehen zu können; sie haben Dampfwalzes Tante von ihrem Besuch unterrichtet; sie haben an Hand von Landkarten Strecke und Fahrzeit genau berechnet, und sie haben mich verständigt, damit wir nicht erschrecken oder uns Sorgen machen. Auch wurde kein fremdes Eigentum beschädigt. Handelt es sich demnach um einen echten Schreckensteiner Streich, der nicht bestraft wird? Nein! Denn es wurde doch jemand erschreckt.
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