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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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nachvollziehen, auch wenn ich weiß, dass solche Sätze bei uns in Deutschland während des Ersten und teilweise noch im Zweiten Weltkrieg genauso gefallen sind. Wenigstens beginne ich allmählich zu begreifen, warum ich mich so schwer damit tue, Anhänger von George W. Bush zu finden. Wenn sogar jemand wie Viola wütend ist auf die Regierung – wer soll sie dann eigentlich noch verteidigen?
    Pat Moybihan tut es jedenfalls nicht. Mit der 76-jährigen Republikanerin aus South Carolina komme ich am nächsten Abend in der georgianischen Kleinstadt Madison ins Gespräch. Die Mutter von acht Kindern wirkt hochgebildet, trägt das Wall Street Journal unter dem Arm und ist mit einem promovierten Chemiker verheiratet. Pat hat zweimal George W. Bush gewählt. Das stimmt doch, oder? Sie zögert. »Vermutlich.« Die jeweiligen Gegenkandidaten John Kerry und Al Gore fand sie jedenfalls »einen Witz«. Dennoch hält sie die Vorstellung für absurd, im Irak »Demokratie erzwingen zu wollen«. Warum hat sie dann auch noch bei der zweiten Präsidentschaftswahl für Bush gestimmt? Pat antwortet mit einer Gegenfrage: »Woher hätte ich denn wissen sollen, dass er ein Kriegsbefürworter ist?« Vielleicht weil der Krieg gegen den Irak schon ein Jahr vor dem Wahlkampf begonnen hat? Die Fähigkeit zur Verdrängung scheint bei ehemaligen Bush-Anhängern stark ausgeprägt zu sein.
    So auch bei Stanley Stadig. Der ehemalige Soldat arbeitet ehrenamtlich in einem kleinen privaten Baumwoll-Museum in Bishopville, South Carolina. »Die amerikanische Öffentlichkeit zahlt meine Rente. Mit dieser Arbeit kann ich davon etwas zurückgeben – und außerdem komme ich aus dem Haus.« Der 59-Jährige hat breite Schultern, einen Vollbart und ein verschämtes Zwinkern im Auge: ein Hüne zum Knuddeln. Ein republikanischer Hüne.
    Wen hat er denn gewählt? Kaum habe ich die Frage gestellt, traue ich meinen Augen nicht. Stanley Stadig verwandelt sich plötzlich in einen nahen Verwandten von Charlie Chaplin. Er steht nicht mehr gerade, sondern vollführt einen erstaunlichen Tanz hinter dem Ladentisch des musealen Andenkengeschäfts. Mit seltsam ineinander verknoteten Beinen, hochgezogenen Schultern, die Zähne zeigend – Lächeln oder Beißreflex? – und unentwegt auf den Knopf seines Kugelschreibers knipsend. Einem unhörbaren Rhythmus folgend. Schließlich sagt er: »Ich habe das kleinste Übel gewählt.« Und was war das? Pause. »Ich habe nicht Kerry gewählt.« Sondern? Er tanzt. Und schweigt. Ich glaube, ich wäre gegenwärtig nicht gerne der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten.
    Eine halbe Stunde nach Bishopville stoße ich auf die Interstate 95. Diese Autobahn führt von Maine bis nach Florida, etwa 3000 Kilometer parallel zum Atlantischen Ozean – und in den Carolinas muss es sich um eine der langweiligsten Straßen der Welt handeln. Irgendwann finde ich die endlos scheinenden Wälder so eintönig, dass ich bei einem Besucherzentrum abbiege, um zu fragen, ob es nicht in der Nähe etwas gebe, das man besichtigen könnte. Ich habe das Gefühl, selbst dann noch Nadelbäume zu sehen, wenn ich die Augen schließe. Offenbar bin ich nicht die Einzige, der das so geht. Vor mir steht ein Mann, der mit hörbarer Verzweiflung in der Stimme die durchaus hilfsbereite Angestellte fragt: »Gibt es hier irgendetwas zum Anschauen – außer Kiefern?« Einen hübschen Golfplatz empfiehlt die Frau nach einigem Nachdenken. Da bleibt jemandem wie mir nichts anderes übrig als weiterzufahren.
    Auf einer schnurgeraden, flachen Straße. Nicht einmal Dörfer liegen in Sichtweite. In einer solchen Situation ist man für jede Reklametafel dankbar – und wenigstens von denen gibt es genug. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: Billig-Discounter werben mit günstigen Zigaretten, Motels mit Sonderangeboten, Striplokale mit Tänzerinnen, die 24 Stunden täglich ihre Brüste vorführen. Ein Waffelrestaurant mit dem Hinweis, Jesus sei der Herr. Letzteres ist sonntags geschlossen.
    Eine andere Werbung gefällt mir: »Diese Sache mit ›Liebe deinen Nächsten‹ – die meinte ich ernst. Gott.« Es scheint inzwischen einige Christen zu geben, die Widerstand aufbauen gegen den Versuch, ihre Religion als Mittel der Ausgrenzung gegenüber anderen Gruppen zu nutzen. Kurz vor der Abreise aus Georgia hatte ich Jack und Nancy Pluckhahn getroffen. Der 74-Jährige schloss vor seinem Haus in Madison gerade sein Auto ab, dessen Heck ein Aufkleber zierte: »Gott möge die ganze
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