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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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dahin noch eine Schule gibt. Jennifer und Wade halten das für eher unwahrscheinlich: »Das nächste Jahr wird schrecklich. Der Dollar wird zusammenbrechen. Die Herrschenden spielen Spiele.« Eisenbergers sorgen vor. Sie wollen demnächst Land in Oregon kaufen und sich mit ausreichend Trinkwasser und Lebensmitteln versorgen, um ein bis zwei Jahre auch isoliert überleben zu können. »Wir sind bereit für die schlechten Zeiten.« Für den Untergang der Welt in der uns bislang bekannten Form.
    Habe ich irgendetwas von diesem Land begriffen? Wie viele derjenigen, die mir freundlich Kartoffelbrei servieren, Benzin verkaufen oder eine Auskunft erteilen sind Propheten der Apokalypse oder Mitglieder eines Geheimbundes? Nach dem Besuch dieses Raumschiffs inmitten eines Waldes brauche ich dringend die Ankoppelung an die Realität. Jetzt also endlich Georgia.
    Ein wirklich schöner Teil der USA. Nicht so wild und dramatisch schön wie Arizona oder Montana, sondern einfach beruhigend fürs Auge und fürs Herz. Wunderbare Alleen, Pferde, die unter riesigen Eichen grasen, strahlend weiße Häuser mit Säulen und Loggien, auf denen Schaukelstühle stehen – eigentlich will man überall immer ein bisschen länger bleiben.
    Was fällt den meisten Deutschen zu Georgia ein? Der ehemalige Präsident Jimmy Carter und die Romanfigur Scarlett O´Hara. Deren Heimat Tara hat es zwar nie wirklich gegeben, aber dafür gibt es jetzt Tara-Immobilien, Tara-Bowling, Tara-Kredite – und für zwölf Dollar kann man auch eine Führung durch ein altes Haus mitmachen, das »fast« genauso aussieht wie Twelve Oaks, eine andere Südstaaten-Villa des Romans. Na ja.
    Plains, das Nest, aus dem Jimmy Carter stammt, macht aus jeder Erdnuss, die er einmal angefasst hat, eine Touristenattraktion. Sogar die Tankstelle seines längst verstorbenen, wirren, akoholkranken Bruders kann man besichtigen. Als ich das im Vorfeld meines Besuchs einigen Prospekten entnommen habe, hielt ich es nur für lächerlich. Und eine »nationale historische Gedenkstätte« für einen ehemaligen Präsidenten noch zu dessen Lebzeiten – bitte nicht. Was soll das? Aber als ich dann da bin, finde ich es seltsam anrührend. Es ist ja wahr: Jimmy Carter stammt wirklich aus ganz kleinen Verhältnissen.
    Gut kann ich mich noch an die Arroganz im Wahlkampf 1977 erinnern: »Jimmy who – Jimmy wer?« Der Erdnussfarmer aus Plains gehörte nicht zum Establishment. Aber er hat in seiner Amtszeit den SALT II-Vertrag zur nuklearen Rüstungsbegrenzung mit der Sowjetunion ausgehandelt, in Camp David ein bedeutendes Abkommen zwischen Israel und Ägypten zustande gebracht, diplomatische Beziehungen mit China aufgenommen und schon vor über 30 Jahren die Solarenergie gefördert. Seit Jahrzehnten kämpft er für Menschenrechte, und den Friedensnobelpreis 2002 hat er, glaube ich, nicht zu Unrecht bekommen.
    Die Platitüde, es sei doch völlig egal, wer US-Präsident sei, stimmt nicht. Wie sähe die Welt wohl heute aus, wenn Carter 1980 nicht gegen Ronald Reagan verloren hätte? Vielleicht etwas friedlicher. Vielleicht würde eine demokratische Präsidentschaftsbewerberin – Hillary Clinton – dann wenigstens nicht meinen, dass sie ihre Siegeschancen mit der angedrohten vollständigen Vernichtung eines anderen Landes – dem Iran – steigern kann. Man weiß es natürlich nicht genau.
    Was man hingegen weiß: Jimmy Carter hat niemals die Bodenhaftung verloren. Noch bis ins hohe Alter leitet dieser Mann mehrmals im Monat die Bibelstunde seiner Gemeinde. Seine Frau putzt die Waschräume, wenn sie an der Reihe ist. Bis heute wohnt das Ehepaar in seinem 1961 erworbenen Mittelklassehaus. Und die Angestellte des Besucherzentrums sagt auf eine Frage von mir, die sie nicht beantworten kann: »Oh, das weiß ich nicht. Da müssen Sie Jimmy fragen.« Es klingt, als meine sie das ernst. Ich mag das.
    Was ich auch mag und erstaunlich finde: Man kann ganz alleine die Farm besichtigen, auf der Jimmy Carter aufgewachsen ist. Das Haus ist komplett eingerichtet, zwar nicht mit Besitztümern der Carters, aber mit Geschirr, Büchern, Puppen, Wäsche, Möbeln aus der Zeit um 1930. Niemand passt auf diese Gegenstände auf. Ich fahre hin, das Haus ist offen. Ich laufe hindurch – ohne jede Kontrolle und auch ohne Eintritt bezahlen zu müssen – und ich fahre wieder weg. Ist es vorstellbar, dass irgendwo in Deutschland zufälligen Besuchern ein solches Maß an Vertrauen entgegengebracht würde?
    Schwerlich. In Plains
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