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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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nicht viel. Der erste Eindruck bestätigt alle meine Vorurteile. Der Scenic Drive, also die angeblich landschaftlich besonders schöne Strecke des Panama City Beach am Golf von Mexiko führt vorbei an Tausenden und Abertausenden von Ferienappartements in Betonbunkern, zwischen denen Hotelhochhäuser stehen. Die meisten sind leer: während des Winters geschlossen. Zu dieser Jahreszeit kann es auch hier empfindlich kühl werden, verlässlich warm ist es erst etwas weiter südlich. Der weiße Sandstrand in Panama City ist zu Recht berühmt – man muss eben aufs Meer hinausschauen und dem schauerlichen Stadtpanorama den Rücken kehren. Aber das ist eine Beschäftigung, deren Reiz sich doch schnell erschöpft.
    Der presbyterianische Gottesdienst am folgenden Morgen lässt den christlichen Fundamentalismus der vergangenen Woche in Vergessenheit geraten. Die Kirche ist voll, und Pastor Jim Stansbury nimmt sich die Zeit, durch die Reihen zu gehen, um jeden Einzelnen zu begrüßen. Er scheint seine Gemeinde sehr gut zu kennen. Mit vielen wechselt er einige persönliche Worte, mich erkennt er sofort als »neu« und fragt liebenswürdig, aber unaufdringlich nach meinem Woher und Wohin. Wieder einmal denke ich, was für ein gutes Mittel gegen Vereinsamung das lebendige Gemeindeleben in den USA doch sein kann – und in welch scharfem Kontrast es zu der Gleichgültigkeit und Anonymität mancher protestantischer Kirchen in Deutschland steht, über die ich vor allem ältere Menschen oft habe klagen hören.
    Auch hier sind es vor allem Ältere, die am Gottesdienst teilnehmen. Die Fürbitten gelten meist kranken Verwandten und Freunden, und sie werden von den Gläubigen selbst ausgesprochen. Ein Mikrofon wandert von Hand zu Hand. Eine Frau hat Angst um ihre Schwester, die in der kommenden Woche operiert werden soll. Ein alter Mann, dessen Frau im Sterben liegt, bittet die Gemeinde, für ihr Seelenheil zu beten. Still, freundlich und mitfühlend ist die Atmosphäre. Wer in Not ist, wird hier ganz offensichtlich nicht allein gelassen. In der Predigt beschränkt sich Pastor Stansbury übrigens darauf, christliche Werte zu vermitteln. Andersgläubige herabzuwürdigen ist ihm kein Anliegen – eine Wohltat.
    Drei Stunden später erreiche ich Valdosta in Georgia. Aber so leicht lässt Florida mich nicht davonkommen. Die Kellnerin des Restaurants, in dem ich zu Abend esse, interessiert sich für das, was ich lese. Dann interessiert sie sich für das, was ich hier tue. Dann erzählt sie ein bisschen von sich selbst – unter anderem, dass ihr Mann den gemeinsamen neunjährigen Sohn zu Hause unterrichtet, weil er nicht dem schädlichen Einfluss öffentlicher Schulen ausgesetzt werden soll. Da interessiere ich mich dann für sie. Und wir verabreden uns für den folgenden Abend. Es wird die bizarrste Begegnung dieser Reise.
    Jennifer Eisenberger ist das, was gelegentlich als »reizende Frau« bezeichnet wird: gute Umgangsformen, gepflegtes Äußeres, gewählte Ausdrucksweise. Zu unserer Verabredung bringt die 35-Jährige mit den langen braunen Haaren ihren Ehemann Wade mit. Er ist deutlich älter als sie und trägt eine militärische Tarnhose, die Arme sind von Tatoos bedeckt. Beide lächeln mich herzlich an und versichern glaubhaft, wie sehr sie sich auf unser Gespräch freuen. Ob wir nicht lieber zu ihnen nach Hause gehen wollten? Wir müssten dafür allerdings eine kleine Strecke fahren.
    Das ist untertrieben. Knapp 40 Kilometer legen wir zurück, erst über die Autobahn, weiter über eine kurvige Landstraße und schließlich lange auf ungeteerten Wegen durch dichten Wald. Zum ersten – und einzigen – Mal auf meiner Reise frage ich mich, ob ich leichtsinnig und vertrauensselig bin. Wo um alles in der Welt führt dieser Weg hin? Zu einem alten, grauen Wohnwagen mit roten Streifen. Baujahr 1960, wie ich später erfahre. Was ich außerdem erfahre: Wir sind zurück in Florida.
    »Herzlich willkommen!«, sagt Jennifer strahlend und rückt Campingstühle an einer kalten Feuerstelle zurecht. »Geht gleich los«, meint Wade, drückt mir eine Flasche Bier in die Hand und sammelt Zweige und Äste für ein Feuer. Hier wohnt die Familie? Hier wohnt die Familie, seit einigen Monaten. Sohn Tristan spielt gerade mit den Nachbarskindern, die etwa 70 Meter entfernt von hier wohnen. In einem ganz normalen Haus übrigens, verdeckt von Bäumen.
    Etwas stellen die Eisenbergers schnell klar: Weder Armut noch Obdachlosigkeit haben sie hierher gebracht, sondern
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