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Auf den Hund gekommen

Auf den Hund gekommen

Titel: Auf den Hund gekommen
Autoren: James Herriot
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Brechnuß und andere belebende Substanzen verordnet, doch als ich Hermann am Samstag aufsuchte, konnte er nicht mehr aufstehen.
    Ich zwickte ihm in die Zehen und wurde mit einem schwachen Reflex belohnt, aber mit trauriger Gewißheit konnte ich voraussehen, daß eine vollständige Lähmung der Hinterhand bevorstand.
    Eine Woche später sah ich meine Prognose in der klassischsten Art und Weise bestätigt. Als ich das Cottage der Cundalls betrat, kam Hermann an die Tür, um mich zu begrüßen, fröhlich und munter auf den Vorderbeinen, während er die Hinterbeine hilflos hinter sich herschleppte.
    »Hallo, Mr. Herriot.« Mrs. Cundall lächelte mich traurig an und sah zu dem kleinen Geschöpf hinunter, das wie ein Frosch auf dem Teppich hockte. »Und was sagen Sie nun?«
    Ich beugte mich hinunter und prüfte die Reflexe. Nichts. Ich zuckte die Achseln und wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich sah zu der hageren Gestalt im Bett hinüber und zu dem einen Arm, der wie immer ausgestreckt auf der Decke lag. »Guten Morgen, Ron«, sagte ich so aufmunternd, wie ich nur konnte, bekam jedoch keine Antwort. Er hatte das Gesicht abgewendet und sah aus dem Fenster. Ich ging zum Bett hinüber. Rons Blick war starr auf das phantastische Panorama der Moorlandschaft gerichtet, auf die Kieselsteine im Flußbett, die in der Morgensonne weiß glitzerten, und das Zickzack der grauen Mäuerchen im satten Grün. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos. Er schien nicht einmal wahrzunehmen, daß ich überhaupt da war.
    Ich ging zu seiner Frau zurück. Noch nie hatte ich mich so elend gefühlt.
    »Ist er böse auf mich?« flüsterte ich.
    »Nein nein, es geht um dies hier.« Sie hielt mir eine Zeitung hin. »Hat ihn schrecklich mitgenommen.«
    Ich schaute auf die aufgeschlagene Seite. Gleich oben war ein großes Bild eines Dackels, der genau wie Hermann aussah. Auch dieser Hund war gelähmt, doch sein Hinterteil ruhte auf einem kleinen vierrädrigen Blockwagen.
    Auf dem Bild sah es aus, als schäkerte er mit seinem Frauchen. Überhaupt sah er sehr glücklich und normal aus, abgesehen von dem Wägelchen.
    Ron hatte wohl die Zeitung rascheln hören, denn sein Kopf wandte sich abrupt zur Seite. »Na, was halten Sie davon, Mr. Herriot? Finden Sie das gut?«
    »Ach... ich weiß nicht, Ron. Es gefällt mir nicht, aber die Dame auf dem Bild hat wohl gedacht, es bliebe ihr nichts anderes übrig.«
    »Ja, vielleicht.« Seine heisere Stimme bebte. »Aber Hermann soll so nicht enden.« Der Arm fiel auf den Boden, und die Finger suchten auf dem Teppich herum, doch der kleine Hund lag noch immer bei der Tür. »Hat keinen Sinn mehr, stimmt’s nicht, Mr. Herriot?«
    »Nun, die Aussichten waren von Anfang an schlecht«, sagte ich. »Diese Fälle sind äußerst kompliziert. Es tut mir wirklich leid.«
    »Werf ich Ihnen doch nicht vor«, sagte er. »Sie haben getan, was Sie konnten, genau wie der Arzt es für den Hund auf dem Bild getan hat. Aber umsonst, stimmt’s? Und was kommt jetzt – einschläfern?«
    »Nein, Ron, das vergessen Sie mal gleich wieder. Manchmal gehen solche Lähmungserscheinungen nach Wochen von selbst wieder zurück. Noch dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben.«
    Ich schwieg einen Moment und wandte mich dann an Mrs. Cundall. »Ein Problem ist jetzt Hermanns Verdauung. Sie müssen ihn dazu in den Garten hinaustragen. Ich bin sicher, das haben Sie sehr bald raus.«
    »Ja, natürlich, bestimmt«, antwortete sie. »Ich tu alles – solange es Hoffnung gibt.«
    »Die gibt es, das versichere ich Ihnen, die gibt es.«
    Doch auf meinem Rückweg in die Praxis quälte mich der Gedanke, daß nur noch wenig Hoffnung bestand. Es gab Fälle von Selbstheilung, doch Hermanns Zustand war bedenklich. Ich unterdrückte ein Stöhnen, als ich an die alptraumhafte Atmosphäre dachte, die inzwischen meinen Umgang mit den Cundalls prägte. Der gelähmte Mann und der gelähmte Hund. Und warum mußte ausgerechnet jetzt dieses Bild in der Zeitung erscheinen? Jeder Tierarzt kennt das Gefühl, daß das Schicksal sich gegen ihn verschworen hat, und es lastete schwer auf mir trotz des strahlenden Sonnenscheins, der meinen Wagen erfüllte.
    Doch ich ging weiterhin alle paar Tage zu den Cundalls. Manchmal brachte ich am Abend einige Flaschen Ale mit, die ich mit Ron trank. Er und seine Frau waren stets heiter, doch der kleine Hund zeigte keinerlei Besserung. Immer noch mußte er seine nutzlosen Hinterläufe nachziehen, wenn er mir zur Begrüßung entgegenkam, und
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