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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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gibt wieder Krieg. Das liegt ganz klar auf der Hand. Der Russe ist schon in Ungarn einmarschiert, da wird er vor Deutschland nicht haltmachen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Erst ist Österreich dran, dann wir. Dann gnade uns Gott. Man weiß ja, wie der Russe ist. Aber ehe es so weit kommt, nehmen wir das nächste Flugzeug nach Amerika.
    Und das Haus?, fragt meine Mutter.
    Wird verkauft.
    Wer soll denn das Haus kaufen, wenn der Russe kommt?
    Ein Russe.
    Banges Schweigen legt sich über den Abendbrottisch. Mein Vater steht auf und geht in die Wirtschaft. Er lässt uns mit der Nachricht allein. Meine Mutter weint.
    Das Fahrrad vom Krimmer ist nicht von einem Hausierer gestohlen worden. Der alte Krimmer hat es im Suff in den Straßengraben gefahren und dort zwischen den Brennnesseln liegenlassen.

23
    Der Russe, rief er in die Bauerntischrunde hinein, schließlich kenne er den Russen, ihm müsse über den Russen keiner was erzählen, der Russe vergewaltige erst einmal alle Mädchen und Frauen, dann schlachte er die Kinder ab, bringe die Männer in Arbeitslager nach Sibirien und mache sich hier ein schönes Leben. Beim Russen müsse man mit allem rechnen, der Russe habe sogar seinen eigenen Kaiser umgebracht, so sei der Russe, er könne nur davor warnen, das mit Ungarn jetzt nicht ernst zu nehmen. Da droht Krieg, sagte er und blickte in die Runde.
    Das glaubten die Bauern dem Seiler nun einmal nicht. Denn wenn der Russe hierher nach Bayern hätte kommen wollen, dann wäre er doch schon im Krieg gekommen. Außerdem war es den Bauern im Prinzip egal, ob der Amerikaner hier war oder der Russe, sie mochten den einen so wenig wie den anderen, und wie der Russe wirklich ist, wussten sie ja gar nicht, denn sie kannten keinen Russen, und der Seiler redete viel Zeug daher. Hätte man das alles geglaubt, es wäre für jeden von ihnen ein unruhiges Leben gewesen, ein Leben voller Ängste und Zweifel. Da hätte man womöglich einen unruhigen Schlaf gehabt. So weit wollte man es dann doch nicht kommen lassen. Also ließ man den Seiler reden.

24
    Der Lehrer Geißreiter, der ja immerhin schon mal in Russland war, sagt auch, dass der Russe kommt und dass wir dann alle Russisch lernen müssen. Er persönlich hält diese Sprache für eine hässliche Sprache, aber es kommt wohl, wie es kommt.
    Ich habe Angst, aber der Veit beruhigt mich.
    Du wirst doch nicht glauben, was der Lehrer sagt. Der Russe ist der Russe, sagt er, wie der Bayer der Bayer ist. Und wie der Bayer in Bayern bleibt, so bleibt der Russe in Russland, weil er auch froh ist, wenn er daheim ist bei seiner Frau und seinen Kindern und seine Ruhe hat. Was soll er denn hier, wo er gar kein Bairisch nicht kann?
    Nach ein paar Wochen ist der Russe immer noch nicht da. Der Veit hat recht behalten. Ich hätte ja trotz meiner Angst eigentlich gerne einmal einen Russen gesehen. Aber da kann man wieder einmal sehen, was mein Vater und der Lehrer für ein Zeug erzählen. Glauben kann man nur dem Veit.

25
    Vater, wie kommt einer auf Amerika?, fragte ich.
    Das heißt nach Amerika. Wie kommt jemand nach Amerika? Ja, wie?
    Da gebe es zwei Möglichkeiten, wobei die eine, das Flugzeug, der anderen, dem Schiff, vorzuziehen sei. Mit dem Flugzeug gehe es schneller, und wenn es abstürze, dann sei man sofort tot und bekomme das Sterben gar nicht mit. Mit dem Schiff dauere es wochenlang, und wenn es untergehe und man schwimmen könne, werde man entweder von Haien gefressen, was seiner Meinung nach der grässlichste Tod überhaupt sei, oder man sterbe nach tagelangem Schwimmen an Erschöpfung, weswegen es für jeden, der mit dem Schiff fahre, das Beste sei, wenn er nicht schwimmen könne, denn dann ginge es sehr schnell mit dem Sterben, man ertrinke quasi sofort. Er rate also nur Nichtschwimmern, das Schiff zu wählen.
    Ich selbst, sagte er, bin mit dem Schiff nach Amerika gefahren, seinerzeit.
    Wann war seinerzeit?
    Vor dem Krieg.
    Aber du kannst doch schwimmen.
    Damals habe ich es noch nicht gekonnt.
    Damit beendete mein Vater das Gespräch. Er habe jetzt wahrlich Wichtigeres zu tun, als dumme Fragen zu beantworten. Als ich später aufs Gymnasium kam, lernte und erfuhr ich vor allem durch einen jungen Geschichtslehrer Dinge, die ich bisher nicht kannte, die mir aber halfen, meinen Vater zu durchschauen, ihm Fragen zu stellen, auf die seine Antworten, die er sich im Laufe des Lebens zurechtgelegt hatte, nicht mehr passten.
    Irgendwann hörte mein Vater ganz auf, mir Fragen zu
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