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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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für den Krieg zu jung gewesen war. Gelächter kam auf. Wie immer gab sich mein Vater mit dem bisher Durchdachten nicht zufrieden. Auch der Vorschlag eines Massengrabes für die Zugelaufenen, zu denen er sich, als sei er etwas Besonderes und ihm das ewige Leben zugedacht, seltsamerweise nie zählte, fand nicht seine Zustimmung. Mit zunehmender Trunkenheit erfand er die Senkrechtbestattung, die auf dem Friedhof platzsparend angewandt werden könnte. Ein Loch in die Erde und die Leiche hineingestellt, fertig. Obwohl sich die Bauern mit der Idee nicht anfreunden mochten, denn wenn sie schon tot seien, dann wollten sie doch gemütlich liegen und nicht stehen, dachte mein Vater begeistert daran, die Senkrechtbestattung als Patent anzumelden. Auch die mehrfach vorgetragene Tatsache, dass am Friedhof der Grundwasserspiegel bereits bei knapp zwei Metern liege und der Tote dann mit den Füßen im Wasser stehe, bremste meinen Vater nicht. Wer ihn kannte, der ahnte, dass diese seine neueste aller nutzlosen Erfindungen sich nicht in den zu vielen Bieren dieses Abends in Wohlgefallen auflösen würde. Nein. Er rechnete, verhandelte, überschlug, war Erfinder, Unternehmer für ein paar Tage, stellte kühne Prognosen einer rosigen Zukunft für die ganze Familie auf und scheiterte schließlich wieder einmal an den Menschen in unserem Dorf, die sagten: Geh zu, Seiler, das brauchts doch nicht.

28
    Einmal zieht sich der Veit mit einer Schnur im Schuppen vom Wirt einen von den drei Zähnen, die ihm noch geblieben sind. Da braucht er keinen Zahndoktor, sagt er, wie er ja auch sonst noch nie keinen Doktor gebraucht hat. Der Zahn muss raus, weil er ihm seit Tagen sakrisch weh tut, der Hundshund, der verreckte! Und ein wenig wackeln tut er ja eh schon, der Saukerl! Er schimpft sich in eine richtige Wut über den Zahn hinein. Dann reißt er das Maul auf, bindet eine Schnur fest um den braunen langen Stumpf und zieht daran mit aller Kraft. Hauruck! Einmal, zweimal, ein drittes Mal, noch fester zieht er. Da ist er! Ein blutiger Stummel hängt an der Schnur. Der Veit lacht, und das Blut rinnt ihm aus dem Maul. Er holt eine kleine flache Flasche Schnaps aus der Joppe, trinkt, gurgelt spuckt aus und trinkt wieder. Mir wird es übel, ich kann ihn nicht mehr anschauen.
    Ja, Bub, so geht das, da braucht es keinen studierten Zahnspengler nicht.
    Dann geht der Veit zum Schlachthaus hinüber, seiner Arbeit nach. Als er am Misthaufen vorbeikommt, schmeißt er den Zahn hin und spuckt das schnapsvermischte Blut in hohem Bogen in die Jauche.
    Jetzt hat er nur noch zwei Zähne.

29
    Auch der Veit wollte auf keinen Fall im Stehen tot sein. Denn man sagt doch, ich lege mich zum Sterben hin, und nicht, ich stelle mich zum Sterben hin. Und man sagt auch, so der Veit, da liegt der und der begraben, und nicht, da steht der und der begraben. Der Veit hatte kein Grab und beklagte das, denn wenn er schon tot sei, dann wolle er wenigstens wissen, wo er liege. Und wenn man nicht sterben könne, nur weil man kein Grab hat, sei das auch kein Zustand. Trotz der nur stumm zur Schau getragenen und vom Veit durchaus wahrgenommenen Missbilligung der Wirtin stellte der Wirt dem Veit in Aussicht, dass er ja problemlos in seinem Familiengrab Platz habe, da ja der Ludwig und der Georg ihren Platz wegen ihres Sterbens in Russland nicht beansprucht hätten, was ja der Seiler richtig bemerkt habe.
    Auf eine Schrift mit seinem Namen auf dem Grabstein, sagte der Veit, wollte er gerne verzichten, dass sich später einmal wer an ihn erinnere, darum gehe es nicht, es gehe ja lediglich nur darum, dass man selber wisse, wo man dann hinkomme, wenn man tot ist, in was für ein Grab.
    Jetzt stirb halt erst einmal, sagte der Kranz-Schorsch, und dann red von einem Grab.
    Vom Verbrennen der Leichen, was mein Vater nicht ohne den Hintergedanken vorschlug, eventuell damit ein Geschäft zu machen, hielten die Bauern nichts. Wir sind doch keine Juden, sagte der Dachser-Xaver. So zerschlug sich die Hoffnung meines Vaters, durch den Betrieb eines Krematoriums und den Verkauf von Urnen zu Wohlstand zu kommen, wieder einmal an der Engstirnigkeit der katholischen Menschen.
    Die Juden, meinte der Stoff-Franz, das wollte er nun doch klarstellen, hätten sich ja nicht freiwillig verbrennen lassen. Da stimmte man ihm zu. In Straubing, sagte er, wo man ein eigenes Konzentrationslager gehabt habe, wurden die Juden und Staatsfeinde bis zum Hals eingegraben. Da musste man sie nicht einsperren, und sie konnten
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