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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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Wirtin froh gewesen, dass neben ihrem altersschwachen Schwiegervater mit dem Veit ein Mann auf dem Anwesen war.
    Die Möglichkeit, dass der Veit den Militärs den Deppen gemacht hatte, um vom Kriegsdienst verschont zu bleiben, zweifelte mein Vater genauso an wie die Geschichte mit dem Schuss auf den Vorgesetzten. Er war sogar der Meinung, dass der Veit gar nicht mehr leben würde, wäre an den Behauptungen irgendetwas wahr gewesen. Einen, der für den Krieg zu dumm war, hat man schon allein aus Abschreckungsgründen liquidiert, sagte mein Vater, und er erzählte von denen, die sich blind stellen wollten, um dem Militär zu entkommen. Man befahl dem angeblich Blinden, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Wenn er sehen konnte, blieb er vor einem riesigen Abgrund stehen und war somit Soldat. War er blind, stürzte er ab und war tot, und es war nicht schade um ihn, weil man ihn ja eh nicht brauchen konnte für den Krieg. Da lachte mein Vater, denn er lachte oft selbst über Geschichten, die er erzählte.
    Er, der Huber-Jakob, unser Viehhändler und der Hochzeitslader, der Stoff-Franz, die drei Männer mit dem größten Mundwerk und der verschrobensten Phantasie, kamen also zu der Erkenntnis, dass es den Veit offiziell gar nicht gab. Mein Vater aus Veranlagung, die anderen beiden aus Berufsgründen des Redens und Geschichtenerfindens mächtig, fanden, wie meine Mutter immer sagte, auf jeden Topf einen Deckel, was so viel hieß wie: Es gab nichts, was sie nicht nach einer gewissen Zeit erklären und glaubwürdig erzählen konnten. So auch die Herkunft des Veit.
    Sie logen und verbogen, schnüffelten und bezichtigten, stellten Behauptungen auf und sagten das Gegenteil, schworen und verdächtigten, wühlten in allen Halbwahrheiten und kannten immer noch einen, der einen kannte, der irgendetwas zu wissen behauptete und bereit war, beim Tode seiner Schwiegermutter das Behauptete zu bezeugen. Sie waren die Herren aller Wirtshausgespräche der Gegend. Angesehen, geachtet und belächelt oder verachtet gleichermaßen, verkauften sie Brautleute, Vieh und Geschichten, waren Alleinunterhalter, Seiltänzer des Wortes, Artisten und Jongleure der Wahrheit, berüchtigt über die Zwiebeltürme der Dörfer hinaus, bis in die Kleinstadt hinein.
    Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass sie der Herkunft des Veit auf der Spur waren.

22
    Stellt euch vor, beim Krimmer haben Hausierer ein Fahrrad gestohlen, sagt mein Vater und macht sich noch ein Bier auf. Es kommt so weit, dass man hier in Hausen sein Fahrrad absperren muss. In Hetzenbach, im Sägewerk, hat sich ein Arbeiter aus Egelsbach die Hand abgeschnitten, die ganze Hand, so, ratsch ab. Er zeigt das mit dem Messer über seinem Arm. Oh Gott, sagt meine Mutter und trinkt ihren Tee. Der Mann war betrunken, muss also die Schuld bei sich selbst suchen.
    Ich glaube, sagt mein Vater, der Meiningervater macht es nicht mehr lange, also der Doktor sagt, es kann sich nur noch um ein paar Monate handeln. Naja, der Krebs, Teufelszeug. Er schmiert sich Marmelade auf das Wurstbrot, eine Eigenart meines Vaters, die meine Mutter und ich nicht gut ertragen können, zumal er nicht müde wird, darauf hinzuweisen, dass es in Schweden üblich ist, solche Zusammenstellungen auf dem Brot zu essen, dass man dort sogar Heringe auf ein Honigbrot legt und dass ja schließlich im Magen ohnehin alles zusammenkommt, weswegen er gar nicht einsieht, warum er die Dinge getrennt, auf den Tag verteilt, zu sich nehmen soll. Immer, wenn er uns bewusst den Appetit verderben will, erzählt er ausführlich, dass man in Holland die Heringe lebend zu sich nimmt, was aber noch gar nichts ist im Vergleich zu den Wilden in Afrika, wie er sagt, die Kröten und Schlangen und Raupen und jede Art Würmer grundsätzlich lebend essen.
    Lass es doch, Herbert, sagt meine Mutter angewidert, und mir ist der Appetit vergangen bei diesem Abendessen, das der Vater mit Geschichten aus aller Welt und mit neuesten Nachrichten würzt.
    Er holt sich noch ein Bier, trinkt, wischt sich mit dem Ärmel über den Mund, schaut uns an und hat so ein kleines triumphierendes Lächeln des Besserwissenden im Gesicht. Er lehnt sich weit zurück, schaut wie gelangweilt über uns hinweg und sagt:
    Übrigens, es gibt wieder Krieg.
    Er sagt es so nebenbei, wie er gesagt hat, dass beim Krimmer ein Hausierer ein Fahrrad gestohlen hat.
    Schweigen.
    Ich sehe das angstvolle Gesicht meiner Mutter, die meinen Vater anstarrt.
    Was redest du da?
    Wie ich es sage, es
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