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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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Hochwürden war mein Vater sogar befreundet. Sie hockten im Pfarrgarten beieinander, tranken den vom Pfarrer selbst gebrannten Schnaps und stritten über Gott und die Welt und wohl auch, das denke ich heute, über die Frauen. Jedenfalls verstanden sie sich gut, denn keiner von beiden hatte dem anderen gegenüber irgendeine Rolle zu vertreten. Und darum durfte ich sogar am katholischen Religionsunterricht teilnehmen und bei der Fronleichnamsprozession gleich hinter dem Hochwürden das Kreuz tragen.
    Den Lehrer mochte mein Vater eigentlich nicht. Er fühlte sich ihm überlegen und machte sich zum Kummer meiner Mutter gerne über ihn lustig. Nicht, dass meiner Mutter der Lehrer Geißreiter etwas bedeutet hätte, sie wollte einfach, dass mein Respekt gegenüber dem Lehrer nicht verlorenging. Mein Vater verbot ihm, mich zu schlagen. Manchmal hielt sich der Lehrer daran, manchmal nicht und manchmal erst recht nicht. Auf dem Rücken des Kommunistenkindes seine Wut über die Welt herauszuprügeln, das mochte er sich ab und zu nicht entgehen lassen.
    Meine Mutter, die im Dorf immer eine Fremde blieb und im alten Berlin großbürgerlich und konservativ, mit Dienstboten, Boot auf der Havel und Klavierunterricht aufgewachsen war, beklagte es, dass sich mein Vater nicht den hiesigen Begebenheiten anpasste, wie es die anderen Flüchtlinge und Zugezogenen taten, denn sie war der Überzeugung, dass eine konfessionelle und politische Anpassung meines Vaters ihn vor manchem geschäftlichen Bankrott und die Familie vor der ständigen Armut hätte bewahren können. Doch das war Vaters Sache nicht. Wie hätte er auch streitbar sein und bleiben können, wenn er mit dem in unserem Dorf doch meist sehr gemächlich dahinfließenden Strom mitgeschwommen wäre. Wenn die Bauern bei uns, die sich gemeinsam mit ihrem Pfarrer hartnäckig dem allzu eifrigen Zugriff der Nationalsozialisten widersetzt hatten und sogar einen wie den Lechner ertragen konnten, etwas schätzten, dann war es der von ihnen für notwendig erachtete Widerspruch, den jemand stellvertretend für sie erhob, was sie selbst schon von ihrem Temperament her nicht konnten. So gesehen war es Anerkennung und nicht diffamierende Ausgrenzung, wenn sie meinen Vater einen Kommunisten oder einen Heiden nannten. Stets sagten sie, was sie auch von korrupten Politikern mit einem Hauch von Anerkennung sagten: Ein Hund ist er schon, der Seiler.
    Seiler, was sagst jetzt du zu der ganzen Hitlerei seinerzeit?, fragten sie ihn. Nun, sagte er, das habe im Prinzip schon seinen Sinn gehabt. Im was? Im Prinzip, also grundsätzlich habe das damals schon seinen Sinn gehabt. Das Wort Prinzip kannten die Bauern nicht. Sie kannten die Primiz, also die erste Messe eines neu geweihten Priesters, aber das war ja was ganz anderes. Mein Vater flocht absichtlich Wörter in seine Ausführungen ein, von denen er wusste, dass sie die Bauern nicht kannten, denn seine Erklärungen waren stets dazu angetan, sein Ansehen bei den Bauern zu unterstreichen. Was der Seiler alles weiß, sagten sie, der kennt sich aus, der ist gescheiter als andere Studierte, der kennt das Leben und die Welt, der kommt gleich nach dem Hochwürden und dem Lehrer, wenn nicht sogar zwischen den beiden, der Seiler.
    Also dieser Hitler, so mein Vater, habe in vielen Dingen recht gehabt, habe aber mit den Juden einen Fehler gemacht, denn so schlimm sei der Jude nun wieder nicht gewesen. Im Gegenteil, die Juden, die er versteckt und gerettet habe, seien allesamt anständige Deutsche gewesen, sogar mit Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Dass mein Vater Juden versteckt haben sollte, das hab ich schon in frühester Jugend nicht geglaubt. Den Bauern war es egal, sie forschten nicht weiter nach, sie kannten keinen Juden und hatten auch noch nie einen gesehen, so wie sie bis vor kurzem auch noch keine Amerikaner und keine Schwarzen gesehen hatten. Ihnen genügte es, aus der von der Kirche stets betonten Tatsache, dass die Juden den Herrn Jesus Christus, unseren Herrn ans Kreuz genagelt haben, ihre Schlüsse auf den Juden zu ziehen.
    Aber den Krieg, Seiler, den Krieg, den hätte es doch auch nicht gebraucht! Da schwieg mein Vater vorsorglich, denn der Klage des Kriegerdenkmals mit seinen stummen Zeugen, den in goldener Schrift verewigten Namen von zweiundzwanzig im letzten Krieg gefallenen Bauernsöhnen und dem verlorengegangenen Verstand des Mesmer-Ludwig und dem in Rußland gebliebenen Bein des Lehrers Geißreiter hatte er so wenig entgegenzusetzen
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