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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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wussten, der wahre Gott, der für das Sterben von Kindern, für Kriege und Missernten, für unerhörte Gebete und Missgeburten, für die ständige Bedrohung durch den Russen und überhaupt für alles Unglück zuständig ist, dieser Gott, ein bärtiger alter, durchaus freundlich dreinblickender Mann, der von der Kirchenkuppel auf uns herunterschaute, konnte nicht erbarmungsloser und zorniger sein als dieser Lehrer. Gott, noch glaubte ich ja, dass es ihn gibt, ist gnädiger, denn der hat ja kein Bein in Russland verloren.
    Die ganze Bandbreite der Willkür und des Ernstes des Lebens lernte ich schon am ersten Schultag kennen, der bereits ein Hakelsteckentag war.

14
    Ich finde meine Hakelstecken schön. Die neue Aufgabe heißt, die alten Hakelstecken mit dem Schwamm, der an einer Schnur rechts an der Schiefertafel hängt, auswischen und neue Hakelstecken malen, diesmal mit dem Bogen nach unten links. Links ist, wo die Fenster zum Friedhof hinausschauen, rechts ist, wo man in das Schulzimmer kommt und der Ofen steht. Das kann ich mir merken, so lerne ich rechts und links zu unterscheiden. Denn mit dem Spruch meines Vaters, links ist da, wo der Daumen rechts ist, komme ich nicht zurecht. Außerdem stimmt er nicht, wenn ich in meine Handflächen schaue. Ich betrachte meine Tafel. Die Hakelstecken purzeln von links oben nach rechts unten, fallen beinahe übereinander, als wenn einer den anderen fangen und schlagen wollte. Langsam drehe ich die Tafel. Weiter und weiter, bis der Schwamm links an der Tafel hängt. Jetzt laufen meine Hakelstecken wieder von links oben nach rechts unten wie Betrunkene, und sie haben den Bogen unten, nach links zu den Fenstern hin, so wie es in der neuen Aufgabe sein soll. Ich schaue zum Benno hinüber, der mühsam neue Hakelstecken malt. Er ist dumm, denke ich, warum dreht er nicht auch einfach die Tafel um. Es stellt sich heraus, dass der Benno klüger ist, denn ich werde für meinen Betrug vom Lehrer Geißreiter mit drei Rohrstockschlägen auf die Hand bestraft, der Benno nicht.
    Es tut weh, der Lehrer lächelt dabei, ich weine. Noch nie hat mich ein Erwachsener geschlagen. Warum darf der das, was mein Vater selbst in seiner größten Wut nicht tun würde, meine Mutter sowieso nicht? Ich renne hinaus, die Treppe hinunter, verfolgen kann er mich nicht mit seinen Krücken, denke ich. Ich laufe ins Dorf, aber nicht nach Hause, sondern zum Wirt hinunter, wo im Hof vor der Scheune der Veit sitzt und eine Sense dengelt.

15
    Beim Dengeln der Sense gab der Veit im Rhythmus seiner Hammerschläge auf das Sensenblatt seltsame Laute von sich, die kein Beten waren und kein Singen und auch kein Fluchen, nicht einmal ein Zählen und kein sonst was Erkennbares, aber von allem doch etwas. Ansprechbar war der Veit, bis er eine Sense fertig gedengelt hatte, nicht. Wenn ihn jemand fragte, ob er glaubte, dass das Wetter morgen gut für die Ernte würde, ob die Sau vom Krimmerbauern, die man morgen schlachte, ob das nach seiner Einschätzung eine gute Sau wäre, tat sich in seinem Gesicht nichts, er dengelte, starrte auf das Sensenblatt, schien die Welt vergessen zu haben, war wie der Pfarrer, wenn er in der Kirche das Allerheiligste aus der Monstranz holte und in die Höhe hob, mit lateinischen Wörtern begleitet. Später, als ihn das ganze Dorf neugierig fragte, wo warst du zehn Tage lang, warst du in Amerika oder nicht?, lächelte der Veit, antwortete nicht, dengelte oder mähte, molk oder schabte die Borsten von einer frisch geschlachteten Sau, etwas wissend, was keiner wusste, ein Geheimnis wie den einzigen Besitz bewahrend, ein Geheimnis, das niemand kannte.
    Mein Vater, der ständig auf der Suche nach einträglichen Geschäften war, die unser Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben zu verbessern geeignet gewesen wären, machte auch vor dem Veit und seiner über Hausen hinaus bekannten Kunst des Dengelns nicht halt. Er bot sich an, in den Dörfern rundherum die Sensen einzusammeln, die der Veit dann dengle, gegen eine Bezahlung selbstverständlich, die mein Vater mit dem Veit zur Hälfte zu teilen sich bereit erklärte. Da konnte der von meinem Vater zum professionellen und genialen Kunstdengler erhobene Veit diesem einmal, wie es eigentlich dessen Gewohnheit war, mit einer Redensart antworten: Die Rechnung, Seiler, hast du ohne den Wirt gemacht. Denn der Wirt war sein Herr und kein anderer, und dessen Sensen und allenfalls die von Hausener Bauern dengelte er, und an einem Geschäft war er nicht interessiert, an
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