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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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wie er mit großen Gesten und hochtrabenden Worten daherkam, für schlicht, einfältig oder dumm. Das betraf beinahe alle Dorfbewohner, aber vor allem meine Mutter und den Veit.
    Den hielt er für einen Trottel, der seiner Meinung nach in der Kindheit eine Hirnkrankheit gehabt haben musste. Meine Mutter betrachtete er als das Opfer ihrer Großeltern, die sich 1940 umgebracht hatten, warum, darüber spekulierte nur er. Lebensuntüchtig, depressiv, erblich belastet. Meine Mutter sagte dazu nichts. Als ich ihn, in der Schule mit der Nazizeit konfrontiert, einmal fragte, ob diese Großeltern Juden gewesen seien, sagte er: Höchstens ein Achtel, wenn überhaupt. Jedenfalls, sagte er, sei das damals kein Grund gewesen, sich umzubringen, sie hätten ja auswandern können, wie Millionen andere Juden auch. Dann hättest du aber die Mutter gar nicht kennengelernt, gab ich ihm zu bedenken. Das wäre dann, meinte er, für sein Leben auch kein allzu großes Drama gewesen.
    Meinem Vater, für den Streiten zu seiner Natur gehörte, gelang es selten, mit meiner Mutter zu streiten, sosehr er es darauf anlegte und geradezu Gelegenheiten suchte oder heraufbeschwor. Meine Mutter steckte seine Bosheiten ein, verteidigte sich selten, gab kaum ein Widerwort. Nur dadurch, glaube ich, haben sie es so lange miteinander ausgehalten.
    Einmal, erinnere ich mich, ließ meine Mutter allerdings eine seiner Anschuldigungen nicht auf sich sitzen. Es gab den einzigen großen Streit, den ich zwischen ihnen erlebt habe. Und das kam so.
    Wenn gewählt wurde, regional oder bundesweit, kamen in Hausen zu den ganzen christsozialen Stimmen stets zwei Stimmen für die Sozialdemokraten dazu. Auf diese Stimmen war mein Vater stolz, waren sie doch der Beweis dafür, dass er weiter dachte, moderner war, weltgewandter und mutiger als alle anderen in Hausen, und dass seine Frau ihm gehorchte. Es war kein Geheimnis, jeder wußte es, dass mein Vater, der Rote, der Kommunist, der harmlos war, weil er ja nur einer war, SPD wählte und dass meine Mutter das auch tat, gehorsam, wie sie in solchen Sachen war.
    Eines Tages kam am Abend nach der Wahl der Bürgermeister Lehner aufgeregt zu meinem Vater. Seiler, sagte er, wir haben ein paarmal nachgezählt und noch mal in die Urne geschaut, es ist nur eine SPD-Stimme da, hat deine Frau nicht gewählt? Natürlich hat sie gewählt, sagte mein Vater entrüstet, aber je mehr der Lehner schwor, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei, desto größer wurden die Zweifel am Verstand meiner Mutter und die Erkenntnis, dass sie nun auch zum Wählen zu dumm war. Als der Bürgermeister zerknirscht gegangen war, kam es zu diesem heftigen Streit. Natürlich habe sie gewählt und auch richtig, und es könne doch vielleicht auch einmal sein, dass er sich auf dem Wahlzettel vertan habe, das gehe ja schnell. Auch Männer, sagte sie, seien fehlbar. Das ihm! Er tobte, sie ertrug es und fuhr am nächsten Tag für eine Woche zu ihrer Schwester nach München. Er sprach von Scheidung und einem Internat, in das ich gesteckt würde, und er hielt in der Wirtschaft eine flammende Rede darüber, was es doch für ein Unfug gewesen sei, den Frauen das Wahlrecht einzuräumen. Er lobte die Schweiz und irgendwelche karibischen Inseln, auf denen die Frauen angeblich auch nicht wählen dürften, und die Mehrheit der Männer stimmte ihm zu, obwohl ihre Frauen, wenn überhaupt, dann doch richtig gewählt hatten.
    Als ich meine Mutter später – sie ließen sich nicht scheiden – auf die Geschichte ansprach, lächelte sie nur.

4
    Den Schreibnamen, wie man bei uns sagt, also den Familiennamen vom Veit weiß ich nicht. Der Veit ist halt der Veit, weil er ja keine Familie hat, wo man sich den Schreibnamen merken müsste. Und einen Hof hat er auch nicht, wo es ja einen Hofnamen und den Schreibnamen gibt. Der Lammer schreibt sich Pflügler. Wir haben auch keinen Hof, aber wir sind eine Familie. Da bin ich der Seilerbub und mein Vater ist der Seiler. Nur meine Mutter ist die Frau Seiler oder auch die Frau Seilerin. Zu ihr sagen die Leute Sie, zu meinem Vater Du. Du, Seiler, oder du, Herr Seiler, sagen sie. Und der Wirt ist der Wirt und die Wirtin ist die Wirtin. Und der Lehrer ist der Herr Lehrer. Du, Lehrer, oder du, Herr Lehrer, der Wiggerl muss heute im Heu helfen, der geht nicht in die Schule, heißt es. Der Pfarrer ist der Hochwürden. Du, Hochwürden, kannst du für den Großvater selig eine Messe lesen lassen, sagt man. Und der Schuster ist der Schuster,
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