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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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wie den aus ihrer Heimat vertriebenen Sudetendeutschen und seiner eigenen Frau, die keinen Tag verstreichen ließ, ohne den durch Bomben erlittenen Verlust des großbürgerlichen Hauses und des damit verbundenen sorglosen Lebens in Berlin zu beklagen. Mein Vater faselte etwas von Kanonenfutter und stellte andererseits fest, dass man den Klauen des Krieges durchaus entgehen konnte, wenn man es so geschickt angestellt hatte wie er, denn wenn es nach den eigentlichen Gesetzen des Krieges zugegangen wäre, hätte er schon längst tot sein müssen. Er habe sich einfach immer gesagt: Ich will leben. Die Bauern waren davon überzeugt, dass sich das ihre Söhne, als sie in den Krieg zogen, auch gesagt hatten. Wer wollte schon sterben?

20
    Wenn ein Gewitter kommt, wenn es blitzt und donnert, dann sagt die Lammermutter: Der Himmelvater schimpft, weil ihr Kinder nicht brav gewesen seid. Dann kriegen die Kinder Angst und hängen sich an die Rockzipfel der Mütter oder verkriechen sich im Herrgottswinkel der Stube und beten und flehen den zürnenden Himmelvater um Gnade an.
    Ich habe keine Angst mehr, weil ich weiß, dass es den Himmelvater, den Lieben Gott, den Herrgott gar nicht gibt und er deswegen auch nicht schimpfen kann. Das weiß die Lammermutter nicht. Ich gehe beim Gewitter auf die Pfarrerwiese und lege mich hin, nur in der Badehose. Das ist schön, Regen und Feuerwerk, ein wunderbares Gefühl. Der Regen ist ganz warm. Es ist, wie wenn man bei Onkel Karl und Tante Barbara unter dieser Dusche steht. Das Donnergrollen ist wie das Rollen der Kugeln auf der Kegelbahn beim Hetzenbacher Wirtshaus. Ich liege da, und kein Herrgott schimpft und bestraft mich. Nur die Lammermutter schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Du bist halt ein Heidenkind, sagt sie, was so eines tut, das ist unserem Herrgott wurscht, weil das ja eh nie zu ihm in den Himmel kommt.
    Ich will gar nicht in den Himmel kommen. Der Veit sagt, dass es den Himmel und die Hölle und das Fegefeuer gar nicht gibt und dass sich das die Pfarrer ausgedacht haben, damit die Leute Angst davor haben.
    Aber Kommunion hätte ich schon gern. Und Firmung auch. Und Ministrant wäre ich gern. So darf ich erst einmal nur den Blasebalg aufpumpen für die Orgel in der Kirche, wenn der Lehrer spielt. Bei den einfachen Melodien scheint ihm das in Russland gebliebene Bein nicht zu fehlen. Und wenn einer gestorben ist und alle sind auf den Feldern, dann dürfen der Benno und ich die Totenglocke läuten. Man läutet fünf Minuten für einen Gestorbenen. Das hören die Bauern auf den Feldern, und sie sagen, aha, jetzt ist er tot, denn sie wissen, wer gerade im Sterben liegt. Dann bekreuzigen sie sich und arbeiten weiter. Wenn sie aber die Angehörigen des Verstorbenen sind, dann geht einer heim und holt den Doktor zum Totschreiben.
    Bei Männern, die im Krieg waren, läuten wir eine Viertelstunde. Warum, weiß ich nicht. Bei deren Beerdigung wird auch dreimal aus einer Kanone geschossen. Das erledigt mein Vater. Da ist er ganz wichtig und hat einen Anzug an.
    Wenn der Veit einmal stirbt, denke ich, dann muss der Vater nicht schießen, weil der Veit ja nicht in einem Krieg war. Da wird der Veit froh sein, dass er seine Ruhe hat im Grab.
    Mein Vater und der Veit, wenn jetzt einer von denen sterben muss, denke ich, dann möchte ich, dass der Veit lebt.

21
    Der Veit war tatsächlich in keinem Krieg.
    Über die Gründe dafür gab es verschiedene Geschichten. Er selbst sprach über sein Leben nie. Im Ersten Weltkrieg war er gerade zehn Jahre alt, im zweiten, so erzählte man, habe der Wirt, sein damaliger Arbeitgeber, der Vater des heutigen Wirts, gesagt, mach ihnen halt den Deppen, weil Deppen brauchen sie nicht für den Krieg. Er habe ihnen dann den Deppen gemacht und sei so vom Soldatsein verschont geblieben. Andere sagten, der Veit sei nie offiziell gemeldet gewesen, es habe ihn also gar nicht gegeben, weswegen er nicht eingezogen wurde. Auch das Gerücht, er habe bei der ersten Schießübung als Rekrut auf einen Vorgesetzten geschossen und den knapp verfehlt, und man habe ihn danach nach Hause geschickt, machte die Runde. Wie immer, wenn es um ihn und sein Leben und seine Herkunft und seine Geschichte ging, schwieg der Veit.
    Ich weiß nichts und ich sag nichts, und weil ich nichts weiß, sag ich nichts, und wenn ich was weiß, dann sag ich auch nichts.
    Da sie den Wirt und seine beiden Brüder und die beiden Brüder der Wirtin und sogar ihren Vater eingezogen hatten, war die
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