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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren
Autoren: Alexander Borell
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sah großartig aus.
    »Du hast dich und mich in eine schöne Patsche gebracht«, begrüßte sie mich vorwurfsvoll. »Ronny Brown würde toben, wenn er wüßte, daß du hier bist, und ich davon weiß. Ich habe übrigens Randy Whiler nach Yuma geschickt, und er wird seine Berichte mit deinem Namen abzeichnen. Du kannst dich dann bei ihm bedanken.«
    Ich nahm June zärtlich um die Schultern.
    »Das war lieb von dir. Du bist ein Prachtkerl, June. Wollen wir zu mir hinausfahren? Oder fällt es auf, wenn du nicht zur Beerdigung kommst?«
    Sie schüttelte ihr rotes Haar.
    »Nein. Ich habe gesagt, ich sei in Pasadena.«
    Wir gingen zur Garage. Ich holte meinen Wagen, den ich am Montag früh vor meinem Flug nach Arizona hier abgestellt hatte, und dann fuhren wir in Richtung San Fernando, wo in einem Nebental mein kleines Häuschen steht.
    June kannte es schon, denn sie hatte mich dort einige Male besucht. Eine Zeitlang war sie sogar beinahe jedes Wochenende zu mir herausgekommen. Das war damals gewesen, als Shirley mich verlassen hatte und ich mich vor nichts so fürchtete als vor dem Alleinsein. In den letzten zwei Jahren hatte mich June allerdings nicht mehr besucht; ich hatte sie auch nie mehr dazu aufgefordert, weil unsere Gefühle füreinander im Laufe der Zeit ein wenig abgekühlt waren. Vor allem June war es gewesen, die mir zu verstehen gegeben hatte, daß ich nicht der Mann sei, an dessen Seite sie ihr ferneres Leben verbringen wollte.
    Wie auf eine Verabredung sprachen wir während der Fahrt nur wenig.
    Am Ende der großen, schnurgeraden Schnellstraße nach San Fernando bog ich links ab in einen schmalen Waldweg, der steil zum Oberen See führte. Damals, als Shirley und ich heirateten, hatten wir uns das kleine Häuschen dort oben am See gekauft.
    Es war ein kleines Holzhaus mit drei Räumen, einem gemauerten Kamin, und neben dem Haus sprang ein kleiner Bach über die Felsen zum See hinunter. Sein klares Wasser war das einzige, was mir zur Verfügung stand. Es gab auch keine Elektrizität hier oben, und als Beleuchtung dienten mir Kerzen oder Spirituslampen mit grellen Glühstrümpfen. Das ganze Gebiet gehörte zur San Fernando Reservation, und wochentags begegnete man hier oben keinem Menschen. Nur an den Wochenenden kamen welche mit Zelten herauf.
    Strenggenommen bewohnte ich dieses Haus nicht allein, sondern teilte es redlich mit Sancho Pansa, einem alten Griesgram, der vom Ufer des Rio Paraná stammte. Ich hatte ihn vor vielen Jahren einem Hausierer abgekauft und inzwischen oft genug Gelegenheit gehabt, seinen unfehlbaren Instinkt zu bewundern: wenn er einen Menschen unvermittelt und ohne vorherige Warnung kräftig in den Finger biß, dann war mit diesem Menschen nicht viel los. Auch damals, als meine Freundschaft mit Shirley begann, war dieser kleine Waschbär klüger gewesen als ich; denn immer und überall hatte er Shirley gebissen, was ihm manche Tracht Prügel und mir viele Vorwürfe eingetragen hat. Ich habe ihn dafür später öfters um Verzeihung gebeten.
    June hingegen konnte mit ihm machen, was sie wollte. Als wir angekommen waren, ließen wir Sancho Pansa sofort aus seinem Gehege, und als June sich bückte, um ihn zu streicheln, rollte sich der fette Bursche genußvoll auf den Rücken, streckte alle viere von sich und ließ sich, wohlig grunzend und schnaubend, sein rundes Bäuchlein von ihren rotlackierten Fingernägeln kratzen.
    Ich schloß die Haustür auf und betrat den dunklen Vorraum. Um Licht zu haben, mußte ich erst die eingehängten und von innen verriegelten Fensterläden entfernen.
    Mein Fuß stieß in der Dunkelheit an etwas Hartes, Schweres, das auf dem Boden gelegen hatte und das nun in eine Ecke rutschte. Ich konnte mir nicht denken, was es war.
    Zuerst ging ich in die Küche, öffnete das Fenster und hängte den Laden aus. June stand indessen in der Diele und versuchte, ihre Seidenstrümpfe vor Sancho Pansas Krallen zu retten, der beharrlich an ihr hochklettern wollte.
    Nun entdeckte ich in der Ecke auch das Ding, an das ich gestoßen war: es war mein alter Revolver! Ich konnte mir nicht erklären, wie der aus meiner Nachttischschublade hierher auf den Boden gekommen sein konnte.
    Ich ging ins Schlafzimmer, und als ich auch hier das Fenster geöffnet hatte, schaute ich mich um. Es war alles so, wie ich es verlassen hatte: nicht gerade sehr ordentlich, aber auch kein wüstes Tohuwabohu. Die Nachttischschublade war geschlossen. Ich schaute hinein, und tatsächlich fehlte mein
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