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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren
Autoren: Alexander Borell
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rückgängig machen. In etwa drei, vier Tagen werde ich dort sein und Sie besuchen, ja.«
    »Ja«, sagte sie nur.
    Ich rauchte eine Zigarette, legte mich dann aufs Bett und löschte das Licht aus. Niemand außer June Tresker konnte mich angerufen haben. Was war nun wirklich mit Bill passiert?
    Mein Schlaf ist sehr leicht; mein Hirn registriert auch im Schlaf jedes Geräusch und unterscheidet genau.
    Ich hörte dieses fremde Geräusch durch die offene Balkontür und wußte sofort, daß es dort nicht hingehörte. Jemand war gegen den Liegestuhl gestoßen.
    Leute, die nachts auf Balkonen herumklettern, sind entweder verliebt, betrunken, oder sie haben keine reellen Absichten. Ob Peggy sich auf diesem Wege...?
    Ich setzte mich auf, suchte im Halbdunkel meinen Bademantel und sah einen Schatten in der Balkontür, der nicht nach Peggy aussah. Im gleichen Augenblick blendete mich ein Blitz, und der harte bellende Knall eines Schusses zerriß die Stille. Ich ließ mich aus dem Bett zu Boden rollen. Da ich kein Held bin, versuchte ich, unters Bett zu kommen, aber es war zu niedrig.
    Es ist sicherlich nicht schwer, einen nackten und hilflosen Mann, der wie ein Frosch auf dem Boden liegt, abzuschießen. Aber es kam kein zweiter Schuß.
    Wenig später klopfte es an die Tür, und der Hotelmanager erschien mit einem finsteren Gesicht.
    »Verdammt noch mal«, sagte er, »wenn Sie Ihren Revolver nicht reinigen können, ohne dabei in der Gegend herumzuballern, dann lassen Sie ihn gefälligst dreckig.«
    »Es hat jemand auf mich geschossen. Vom Balkon aus«, antwortete ich.
    Er schnupperte, schaute sich im Zimmer um Und sagte kopfschüttelnd:
    »Schon gut, Mann. Legen Sie sich aufs Ohr und pennen Sie Ihren Schwips aus. Noch nie hat hier jemand auf jemanden geschossen.«
    »Dann war’s vorhin zum erstenmal«, sagte ich und begann mein Bett zu durchsuchen. Er schaute mir zu, und nach einer Weile polkte ich die Kugel aus der Matratze.
    Es war ein kleines Geschoß, außen Stahl und innen Blei, und die Züge des Laufs waren deutlich sichtbar. Wahrscheinlich stammte es aus einer kleinen modernen Pistole.
    »Bitte«, sagte ich und hielt das Ding auf der flachen Hand dem Manager unter die Nase. »Wer wohnt in dem Zimmer über mir?«
    »Niemand«, sagte er, »das heißt — es ist Nummer 74 — , es wurde telegraphisch bestellt, aber der Herr ist noch nicht eingetroffen.«
    »Irrtum«, sagte ich, »er war schon da, und das hier ist seine Visitenkarte. Oder man hat sich im Balkon geirrt. Kann ich mir das Zimmer mal anschauen?«
    Wir stiegen ein Stockwerk höher. Das Zimmer war abgeschlossen, und der Manager mußte erst den Schlüssel beim Portier holen. Komischerweise war der Schlüssel nirgends zu finden. Endlich konnten wir mit einem Nachschlüssel aufmachen.
    »Bitte!« rief der Manager, triumphierend in das leere Zimmer deutend, »bitte: kein Mensch!«
    »Gut«, sagte ich, »und die Zigarette hat der Heilige Geist geraucht. Riechen Sie’s nicht?«
    Ich zeigte ihm auf dem Parkett, nicht weit von der Balkontür, die abgefallene Zigarettenasche.
    »Womöglich«, sagte er nachdenklich, »hat es überhaupt nicht Ihnen gegolten. Nebenan wohnt nämlich der republikanische Abgeordnete von Nebraska, der, soviel ich weiß, nicht sehr beliebt ist. Womöglich sollte der erschossen werden.«
    »Hoffen wir’s«, sagte ich.
    Er versicherte mir nochmals, so etwas sei in seinem Hotel noch nie passiert, und dann lud er mich freundlich grinsend zu einem Whisky ein, bei dem ich es so lange aushielt, bis mein Partner laut schnarchend in seinem Sessel zusammensackte. Ich trank den Rest der Flasche allein aus. Als der Morgen dämmerte, hatte ich es geschafft.
    Ich badete, zog mich an, zahlte beim Portier meine Rechnung und sagte, indem ich auf einen Schlüssel deutete:
    »Da ist er ja wieder, der Schlüssel von Zimmer 74. Wo war er denn?«
    Der Portier stierte verblüfft auf das Schlüsselbrett.
    »Tatsächlich«, brummelte er, »jetzt ist er wieder da.«
    »Wer war bei Ihnen?«
    »Niemand, Sir.«
    »In diesem Hause«, bemerkte ich, »scheint der Heilige Geist besonders aktiv zu sein. Wieviel Dollar hat Ihnen Ihr Nickerchen heute nacht denn eingebracht?«
    »Mein Herr«, sagte er, »ich bin nicht verpflichtet, mir von Gästen Beleidigungen anzuhören.«
    »Schon gut. Geht mich ja eigentlich’ auch nichts an. Man ist halt neugierig und möchte ganz gern wissen, wer auf einen geschossen hat. Passen Sie gut auf Ihren Republikaner von Nebraska auf und auf den
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