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Die Frauen von Savannah

Die Frauen von Savannah

Titel: Die Frauen von Savannah
Autoren: Beth Hoffman
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Kapitel 1
    M omma ließ ihre roten Satinschuhe mitten auf der Straße stehen. Das haben drei Augenzeugen ausgesagt. Ich erinnere mich, wie ich meine Mutter an einem verschneiten Morgen im Dezember 1962, als ich sieben Jahre alt war, zum ersten Mal in den roten Schuhen sah. Ich ging in die Küche, und da saß sie am Tisch. Das Licht war nicht an, aber im sanften Schleier der Morgendämmerung, der sich durch die Eisblumen am Fenster schob, sah ich hochhackige rote Schuhe unter dem Saum ihres Morgenmantels hervorschauen. Das Frühstück war nicht fertig, und mein Schulkleid hing nicht gebügelt am Knauf der Kellertür. Momma saß einfach da und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster, die Hände schlaff auf dem Schoß, ihr Kaffee kalt und unberührt.
    Ich stellte mich neben sie und atmete den süßen Duft des Lavendelpuders ein, der in ihrem Morgenmantel hing.
    »Was ist denn, Momma?«
    Ich wartete und wartete. Schließlich wandte sie den Blick vom Fenster ab und mir zu. Ihre Haut war so zart wie Seidenpapier, und ihre Stimme nur ein Flüstern, als sie mir die Hand an die Wange legte und sagte: »Cecelia Rose, wir gehen nach Georgia. Du sollst das wahre Leben kennenlernen. Die Frauen dort ziehen sich so hübsch an. Und die Leute sind freundlich und zuvorkommend – es ist alles ganz anders als hier. Sobald es mir besser geht, planen wir eine Reise – nur du und ich.«
    »Und was ist mit Dad, kommt er auch mit?«
    Sie kniff die Augen zu und antwortete nicht.
    Den ganzen Winter über blieb Momma traurig. Ich dachte schon, sie würde nie wieder lächeln, aber dann kam der Frühling. Der Flieder blühte in großen, bauschigen lila Wogen, und Momma ging hinaus und schnitt Sträuße für jedes einzelne Zimmer. Sie lackierte ihre Fingernägel leuchtend rosa, frisierte sich und zog ein geblümtes Kleid an. Sie wirbelte durch die Zimmer, zog die Vorhänge zurück und riss alle Fenster auf. Sie drehte das Radio auf, nahm mich an den Händen und tanzte mit mir durchs Haus.
    Wir fegten durchs Wohnzimmer, ins Esszimmer, um den Tisch herum. Mitten in einer Drehung blieb Momma abrupt stehen. »Ach, du meine Güte«, sagte sie, holte tief Luft und zeigte auf den Spiegel neben der Tür. »Sehen wir uns ähnlich! Wann ist das denn passiert? Wann bist du so erwachsen geworden?«
    Wir standen nebeneinander und betrachteten uns im Spiegel. Was ich sah, waren zwei lächelnde Menschen mit dem gleichen herzförmigen Gesicht, blauen Augen und langem braunen Haar – Momma hielt sich ihres mit einem Stirnband aus dem Gesicht, meins war zum Pferdeschwanz gebunden.
    »Erstaunlich«, sagte meine Mutter und band sich ebenfalls einen Zopf. »Guck uns mal an, CeeCee. Wenn Du noch ein bisschen älter wirst, hält man uns bestimmt für Schwestern. Das wird lustig, oder?« Sie kicherte, nahm meine Hände und wirbelte mich herum, bis meine Füße vom Boden abhoben.
    Sie war so glücklich, dass sie nach unserem Tänzchen mit mir in die Stadt fuhr und mir lauter neue Kleider und Haarbänder kaufte. Momma kaufte sich so viele neue Schuhe, dass der Verkäufer lachte und sagte: »Mrs Honeycutt, Sie haben bestimmt mehr Schuhe als das Bolschoi-Ballett.« Weder Momma noch ich wussten, was das bedeutete, aber der Verkäufer fand es wohl geistreich. Also lachten wir mit ihm, und er half uns, die Pakete ins Auto zu tragen.
    Nachdem wir den Kofferraum mit Tüten und Kartons vollgestopft hatten, rannten wir über die Straße zum Billigkaufhaus, setzten uns an die Bar und teilten uns einen Cheeseburger, eine Portion Pommes und einen Schoko-Milchshake.
    Der Frühling war wirklich ein Ding. Ich hatte Momma noch nie so glücklich erlebt. Jeder Tag war ein Fest. Wenn ich aus der Schule nach Hause kam, wartete sie schon, herausgeputzt und mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Sie schnappte sich ihre Handtasche, schob mich zum Auto, und auf ging’s zu noch mehr Shopping.
    Dann kam der Tag, an dem Daddy von einer dreiwöchigen Geschäftsreise zurückkam. Momma und ich saßen am Küchentisch, sie mit einer Zeitschrift, ich mit einem Malbuch und Buntstiften. Als Dad die Garderobentür aufmachte, um seine Jacke wegzuhängen, wurde er von einer Lawine aus Schuhkartons überrollt.
    »Herr im Himmel!«, dröhnte er und wandte sich an Momma. »Wie viel Geld hast du ausgegeben?«
    Als Momma nicht antwortete, legte ich meine Stifte hin und lächelte. »Daddy, wir waren zwar wochenlang shoppen, aber wir haben das alles umsonst gekriegt!«
    »Umsonst? Was soll das denn
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