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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren
Autoren: Alexander Borell
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Sie waren doch Bills Freund, nicht wahr? Bill ist nicht verunglückt.«
    Ich war mit einem Schlage hellwach.
    »Woher wissen Sie das? Wer sind Sie?«
    »Ich weiß es, aber ich habe Angst. Bill wußte zuviel. Kommen Sie?«
    »Ich fliege morgen früh«, sagte ich. »Wo treffen wir uns?«
    »Ich hole Sie auf dem Flugplatz ab«, sagte sie.
    »Gut. Werden Sie mich erkennen?«
    »Ja. Bill hatte ein Bild von Ihnen.«
    Die Verbindung wurde unterbrochen.
    Ich hatte gewohnheitsgemäß auf die Uhr geschaut: es war 22.12 Uhr.
    Kaum lag der Hörer auf der Gabel, als Peggy neben mir stand. Ich kam jedoch ihrem Angriff zuvor, klopfte ihr kameradschaftlich auf die Schulter und sagte:
    »Pech gehabt, du kleine Schlingpflanze, ich habe soeben einen sehr eiligen Auftrag bekommen und muß mich sofort an die Maschine setzen.«
    Sie schaute mich sekundenlang enttäuscht an, dann aber wurde ihr Gesicht böse.
    »Wie du willst«, sagte sie und hatte auf einmal ganz schmale Lippen. »Das ist nun der Dank dafür! Ihr Männer seid’s nicht wert, daß man euch liebt. Ihr brecht einem Mädchen das Herz und wißt nicht, was ihr tut, denn ihr selbst habt keins.«
    Sie verließ mein Zimmer, schlug die Tür hinter sich zu, und mir schoß der Gedanke durch den Kopf, wie sehr die Dialogschreiber unserer Filmindustrie die Ausdrucksweise einfacher Menschen beeinflussen können. Dann aber grübelte ich über diesen Anruf nach. Je länger ich das tat, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß June Tresker mit mir gesprochen hatte. Sie konnte genauso dunkel und weich sprechen, sie wußte, daß ich hier zu erreichen war, und sie konnte mehr über Bills Tod erfahren haben.
    Ich machte einen neuerlichen Versuch, ihre Nummer zu bekommen, und diesmal gelang es mir. Während sie sich meldete, fand ich, daß ihre Stimme anders klang; keine Spur von dunkel und weich.
    »Hallo, June«, sagte ich, »wen schickt ihr nun morgen nach Yuma zu den Stieren?«
    Sie zögerte sekundenlang, dann sagte sie:
    »Wieso, Jimmy? Soviel ich weiß, solltest du hinfahren.«
    »Ja. Aber ich werde doch morgen früh nach Los Angeles kommen.«
    »So?« machte sie gedehnt, »davon weiß ich nichts. Wer hat das denn gesagt?«
    »Hm«, machte ich, »das war so eine Idee von mir. Aber ich kann genausogut nach Yuma fliegen.«
    »He, Jimmy!« rief sie, »weißt du genau, daß du ganz nüchtern bist?«
    »Nicht ganz genau, aber ziemlich. Was ist eigentlich mit Bill passiert? Ihr tut alle so, als ob das ein Dreck wäre.«
    »Kein Mensch tut so, Jimmy. Du hast wirklich einen in der Krone. Ich verstehe dich. Aber wir sind alle ganz erschüttert. Sie haben ihn am Strand gefunden, in den Klippen. Er muß in den Felsen gestürzt sein. Morgen früh wird er beerdigt.«
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte ich: »Bist du allein?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Ach so, dann ist’s natürlich was anderes. Also gut, June, ich hab’ dich schon verstanden. Ich bin morgen früh um 9.30 Uhr auf dem Flugplatz. Vielen Dank für deinen Anruf.«
    Ich hängte ein, zog mich aus, duschte kalt, warf den Bademantel über meinen nackten Körper und setzte mich wieder auf den Balkon.
    Vielleicht war es falsch gewesen, daß ich June meine Absicht verraten hatte. Aber wer anders als June konnte mich angerufen haben? Doch ja, Bill hatte eine Freundin gehabt. Merkwürdigerweise brachte er sie niemals mit zu mir oder stellte mich ihr vor. Konnte sie mich angerufen haben?
    Ich ließ mich mit Bills Nummer verbinden, um mit seiner Schwester zu sprechen; das Naheliegende fällt einem oft zu spät ein.
    Esther Nicholas war 22 Jahre alt. Sie mochte mich nicht besonders, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich glaube, Bill mochte sie auch nicht. Sie sah aus wie ein hübsches, aber ständig erschrockenes Kaninchen. Ich habe sie in Verdacht, mich für einen Wüstling zu halten.
    Ihre Stimme klang schrill und hell wie die einer Vierzehnjährigen.
    »Hier spricht Jimmy«, sagte ich. »Ich habe erst vorhin von dem Unglück erfahren. Es tut mir so furchtbar leid, Esther. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    »Nein, danke«, sagte sie, »die Zeitung hat schon alles geregelt.«
    »Ich habe einen dringenden Auftrag«, fuhr ich fort, »und muß morgen nach Yuma fliegen. Haben Sie mich vorhin angerufen?«
    »Ich? Sie? Nein.«
    »Ich bekam einen Anruf«, erklärte ich, »aber er war gestört, und ich weiß nicht, von wem er kam. Ich wäre gern morgen nach Los Angeles zur Beerdigung gekommen, aber ich kann den Auftrag nicht
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