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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen
Autoren: William Napier
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Euren Fall zu besingen.
     
    N un aber lege ich, Priscus von Panium, im neunzigsten Jahr stehend, mit ungelenker, gichtiger Hand die Feder nieder, hier in meiner schlichten Zelle im Sankt-Severinus-Kloster.
    Auf dem Tisch vor mir liegt eine kleine Goldmünze. Es ist das einzige Gold, das ich besitze. Es hat einen geriffelten Rand, in die Oberfläche ist die grobe Darstellung eines Adlers mit ausgebreiteten Schwingen eingraviert, und es wurde mir von dem Mann gegeben, den sie einst die Geißel Gottes nannten. Er ruht nun stumm in seinem Grab, zusammen mit allen anderen Toten. Wenn auch ich unter der Erde liege, werden die Mönche die Münze vielleicht finden und sie staunend betrachten. Vielleicht bewahren sie sie in ihrer Sakristei als Schatz auf. Oder sie schmelzen sie womöglich ein, um Emailleschmuck oder Goldbelag für eine Bibel daraus zu verfertigen. Vielleicht wird das Gold aus der Hand eines heidnischen Königs ein Blatt in den Evangelien. Es gibt viele Arten von Ironie, und nichts bleibt, wie es ist, nicht einmal Gold.
    Abends schließe ich friedlich meine Augen in diesem italienischen Kloster mit seinem feinen steinernen Maßwerk, in dem bis auf das leise Klappern von Sandalen auf ausgetretenen Steinfliesen und dem Rascheln brauner wollener Gewänder kein Laut zu vernehmen ist. Hier werden die sieben Offizien mit einer heiteren Regelmäßigkeit begangen, für die ich dankbar bin in einer Welt, in der Dunkelheit und Chaos regieren. In einem stark in Mitleidenschaft gezogenen Königreich, das von dunklen Mächten bedroht ist, aber unter der Herrschaft eines christlichen Königs, Odoaker, steht, erweise ich mich zusammen mit den anderen, die noch da sind, dankbar für den Triumph der Christenheit.
    Weder Attilas unersättliche Gier nach Zerstörung, noch Roms eigene große, monolithische Erhabenheit, sondern eine sanftere Lebensweise überlebte nämlich jene bösen Tage. Hier, wo die stillen Brüder in Sandalen ihre Weinreben mit kleinen Sicheln beschneiden und die Glöckchen der Ziegen von den umliegenden Hügeln her klingen, hier haben wir in der Tat eine andere Denkweise vor uns, die ich für die wahre Zivilisation halte.
    Doch wer vermöchte zu entscheiden, ob diejenigen, die anders dachten und für etwas anderes kämpften, nicht am Ende auch Helden waren? Die meinige ist ja nur eine Version von vielen. Als Gott auf Erden wandelte, ließ er viele Deutungen zu.
    Und so hinterlasse ich zum Gedenken an den Mann, den ich für den Edelsten und zugleich den Letzten aller Römer halte – einst war er mein widerspenstiger Schüler –, diese historischen Schriften der Nachwelt. Ich weiß, dass die Nachwelt mir heute, im Jahr des Herrn 488, als dunkler, liebloser Ort erscheint, wo die Schriftrollen und Bücher vergangener Zeitalter allenfalls dazu dienen mögen, ein Feuer zu entfachen. Das Licht des Lernens verlöscht über Europa.
    Und obwohl ich es für ziemlich wahrscheinlich halte, dass die Nachwelt sich nicht darum schert, was ich schreibe, und befürchte, dass Aëtius’ Name bald wie Laub im Wind zerstreut sein wird, wo doch sein Name so berühmt wie der Alexanders, Hannibals oder auch Caesars sein sollte – dennoch habe ich diese Aufzeichnungen um seinetwillen verfertigt.
    Es gibt hier einen scheuen, schlichten jungen Mann von nur achtzehn Jahren, der bei uns im Kloster lebt. Ein Laienbruder mit goldenen Locken namens Romulus, der nichts mehr liebt, als den Mönchen im Gemüsegarten zu helfen und die Hühner und Ziegen zu füttern. Er hat einen kleinen Kräutergarten ganz für sich allein, in dem Koriander, Petersilie und Schnittlauch wachsen. Er liebt es, Bohnen und Linsen aufzuziehen, Rettich, Salat, und ist ganz vernarrt in seine bescheidenen, üppig wuchernden Steckrüben. Einst saß er auf dem römischen Kaiserthron und trug den Purpurmantel – doch das ist lange her, es war in einer anderen Welt.
    Nie mehr wird ein Kaiser im Purpurmantel auf dem Thron sitzen oder neben seinem gelben Baldachin auf den Stufen des Kapitols stehen, um wieder einmal eine römische Armee in Empfang zu nehmen, die zum schmetternden Klang der Trompeten und unter heftigem Trommelwirbel im Triumphzug aus Norden über die Via Flaminia her in die Stadt einzieht, vorbei am Mausoleum des Augustus, der Säule des Mark Aurel, hinauf zum kapitolinischen Hügel, zum Jupitertempel. Nie wieder wird das Sonnenlicht auf den bronzenen Helmen der Kavallerie glänzen, während ihre Pferde über das Marsfeld trotten, nie wieder werden
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