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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen
Autoren: William Napier
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zieht nichtsahnende Leute frech an den Haaren. Und dieses wimmelnde, lärmende menschliche Chaos spielt sich unter der vermeintlichen Aufsicht und Bewachung einer Handvoll Grenzsoldaten ab, deren Legionsfestung Viminacium zehn Meilen weiter östlich trutzig aufragt.
    * * *
    Auch ein Mädchen war dort auf dem Fest, ein sanftes, verträumtes Mädchen mit einer Hasenscharte, ein Makel, der nach landläufiger Auffassung darauf zurückzuführen war, dass ein Hase den Weg ihrer Mutter gekreuzt hatte, als sie mit ihr schwanger war. Sie hatte ein Tragejoch mit zwei Holzeimern voll Ziegenmilch auf den Schultern, die sie becherweise als Erfrischung feilbot, doch sie nahm nur wenig Geld ein. Als Verkäuferin war sie zu schüchtern und einfach nicht dreist genug. Zu oft verschenkte sie obendrein Milch an arme Kinder, die sie mit hungrigen Augen um einen Becher anbettelten. Wenn sie am Abend heimkehrte, würde ihre Mutter mit ihr schimpfen, weil sie nicht genug verkauft hatte, und wieder einmal würde sie ihr vorwerfen, dass sie den ganzen Tag nur vor sich hin geträumt hatte. Und noch mehr würde sie lamentieren, weil sie keinen Ehemann gefunden hatte, der ihre arme alte Mutter endlich der Sorge um sie entband.
    Weil sie sich im dichten Gewühl und Gedränge unwohl fühlte, zog es sie bald zum weniger belebten Ende des Jahrmarkts. Hinter den bunten Zelten und Ständen erstreckten sich weite, offene Wiesen, die bis hinüber reichten zu der Kette niedriger Hügel im Westen und dem hoch aufragenden Mons Aureus, dem goldenen Berg mit seinen legendären Minen. Die Tresorgewölbe in Viminacium, so wurde gemunkelt, waren voller Gold. Wenn ein Transport eine neue Lieferung über die breite, gepflasterte Fernstraße zum Kaiser nach Konstantinopel brachte, wurde er von einem Geleitschutz von eintausend Mann begleitet. Und der Kaiser … der war, so stellte es sich das Mädchen vor, selbst aus Gold gemacht und saß reglos wie eine Statue auf seinem hohen, über und über mit Blattgold überzogenen Thron. Erhaben und unnahbar. Ein lebender Gott.
    Jetzt verharrte sie scheu vor dem schmuddeligen Zelt einer alten Frau, das auf knorrigen Holzpfosten ruhte.
    «Immer herein, Mädchen, immer herein. In deinem Alter wirst du dir einen Liebsten wünschen!»
    Die alte Frau mit dem schlohweißen, zu einem straffen Knoten gebundenen Haar grinste und winkte sie lebhaft zu sich herein. Während sie mit ihren beringten Fingern wedelte, führte sie dabei inmitten ihrer merkwürdigen Waren fast einen kleinen Tanz auf. Die alte Frau war keine Zauberin oder Hexe, die gegen Bezahlung bösen Zauber trieb, düstere Bann- und Racheflüche verhängte und dergleichen; sie war bloß eine Wahrsagerin. Früher am Morgen war ein Geistlicher aus der Stadt zu ihrem Zelt gekommen, hatte sich davor aufgebaut, um mit lauter Stimme über die Bibelstelle «Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen» zu predigen, aber die Leute hatten ihn nur verächtlich angesehen und waren weitergegangen. Niemand ließ sich von dem Pfaffen dazu aufwiegeln, der alten Frau auch nur ein Haar zu krümmen.
    Das Mädchen stellte zaghaft seine Eimer ab. Die Alte ergriff ihre Hand und zog sie hinein ins schummrige Halbdunkel ihres Zeltes, in dem ein Sammelsurium von Tierpfoten und -schwänzen zu erkennen war, seltsam geformte, muschelähnliche Steine, lange, bunt eingefärbte Reiher- und Bussardfedern, mit leuchtenden Stoffbändern umwickelte und mit Messingglöckchen besetzte Stöcke, Lederbeutel voller Kräuter oder Fläschchen mit allerlei fragwürdigen Tränken. Dann fiel dem Mädchen etwas anderes ins Auge, etwas sehr Schönes, das sie zunächst für einen Spiegel hielt. Einen kleinen Spiegel von der Sorte, in der sich reiche Damen bewundern, wenn sie in ihrer Sänfte durch die breiten Prachtstraßen großer Städte zu abendlichen Gastmählern getragen werden. Mit Gold und Edelsteinen geschmückte Damen mit weiß gepuderten Gesichtern und Unterarmen und kleinen Spiegeln, die ihnen schmeicheln.
    Die alte Wahrsagerin, die sofort erriet, was es sich wünschte, eilte hinüber und holte den Gegenstand. Es war eine eigenartige kleine Schatulle, bestehend aus farbigen, durch feine Silberscharniere zusammengefügten Glasplättchen, ein gewiss sehr kostspieliges Stück. Das Mädchen hatte nur die paar kümmerlichen Kupfermünzen bei sich, die es am Morgen bisher eingenommen hatte, doch die Alte trat mit der bunten Glasschatulle trotzdem ins Sonnenlicht hinaus und reichte sie ihr
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