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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz
Autoren: Nina Blazon
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wegzulaufen?
    Finn näherte sich ihr so vorsichtig, als fürchtete er, sie würde
weglaufen, und blieb zwei Armlängen entfernt von ihr stehen. Er hatte sich hastig abgeschminkt, an seiner Schläfe schimmerte noch etwas Goldfarbe. Die Körpersprache des Helden hatte er abgelegt und seine Miene hatte wieder die sanfte, beinahe schüchterne Freundlichkeit, die Summer so an ihm mochte.
    »Eigentlich wollte ich mich entschuldigen«, sagte er. »Für die Wette mit dem Kuss. Es war eine blöde Idee. Und der falscheste Zeitpunkt. Aber sag mal, der Kerl im Publikum - er hatte wirklich ein Messer?«
    »Ja«, log Summer, ohne zu zögern. »Ich dachte, er würde jeden Moment auf die Bühne springen. Hast du ihn wirklich nicht gesehen?«
    Finn schüttelte den Kopf. »Ist er dir vorher schon mal aufgefallen?«
    »Allerdings! Er … er scheint es auf mich abgesehen zu haben.«
    Finn biss sich auf die Unterlippe. Er sah so zerknirscht aus, dass es Summer wieder einmal leidtat, ihm Märchen zu erzählen.
    »Dann hättest du schon viel früher etwas sagen müssen. Dafür ist die Truppe doch da - wir beschützen einander. Mort hat uns versprochen, einen Türsteher einzustellen. Und wenn er nicht dafür sorgt, werde ich es tun.«
    Es wäre einfach gewesen, ihn auszulachen und wieder das scharfzüngige Mädchen zu sein, in das Finn sich aus unerfindlichen Gründen verliebt hatte. Aber hier, im Halbdunkel der Gasse, hätte sie sich am liebsten in seine Umarmung geflüchtet.
    »Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Summer«, fuhr er noch leiser fort. »Ich habe dich heute auf der Bühne kaum wiedererkannt. Der Ausdruck in deinen Augen … diese Angst … So kenne ich dich nicht.«
    »Schon gut, kein Grund, ein Drama daraus zu machen«, antwortete
sie etwas zu schroff. »Aber danke, dass du mir die Schuhe gebracht hast. Und jetzt muss ich wirklich los.«
    Er verstand den Wink, hakte den Beutel von seinem Gürtel los und warf ihn ihr zu. Summer fing ihn auf, holte ihre Sandalen hervor und streifte sie hastig über. Es gab Dinge, an die sie sich nie gewöhnen würde. Schuhe gehörten dazu. Sie dankte Finn mit einem knappen Nicken und wollte davoneilen. »Summer, ich habe noch etwas für dich!«
    Zögernd drehte sie sich wieder zu ihm um.
    Er lächelte und holte eine Handvoll Scheine und Geldstücke aus seiner Hosentasche. »Willst du dir Bators Bezahlung wirklich entgehen lassen? Und …« - seine Stimme bekam einen dunklen, lockenden Klang - »… im Hafen spielt Musik.«
    Summer schüttelte den Kopf. »Ich … muss wirklich nach Hause, Finn.« Die wievielte Lüge an diesem Tag?
    Finn verschränkte die Arme und zog die linke Augenbraue hoch. »Zu deinem Freund, den du vor mir verheimlichst? In deinen Palast, wo du in einem vergoldeten Bett schläfst, unter schwarzen Seidendecken, die schöner glänzen als das Meer bei Nacht?«
    »Ja, genau in diesen Palast«, erwiderte sie ebenso ironisch. »Wo tausend Kakerlaken im Flügelfrack nur darauf warten, ihre Herrin ehrerbietig zu begrüßen.«
    Finns Miene hellte sich auf. »Ich sehe, wir wohnen in der gleichen Gegend.«
    Jetzt musste sie plötzlich doch lachen. Mit Finn zu reden, war wie tanzen. Ließ man sich auf den ersten Schritt ein, war man schon mitten drin in der nächsten Drehung. Und das Schlimme war: Sie liebte diesen Tanz und konnte auch jetzt kaum widerstehen. Die Sehnsucht danach, einfach nur ein Mädchen zu sein, das
mit einem Mann flirtete, überkam sie so jäh, dass sie sich mit einem entschuldigenden Schulterzucken abwandte und die Straße entlanglief.
    »Weißt du was? Dann bringe ich dich wenigstens nach Hause«, rief Finn ihr hinterher.
    »Nein. Ich finde allein heim!«
    Doch so einfach ließ er sich nicht abschütteln. Im nächsten Moment lief er schon neben ihr her. »Das weiß ich. Aber du bist ganz schön leichtsinnig, allein in den Gassen herumzulaufen. Stell dir vor, was passiert, wenn der Rothaarige mit dem Messer dir tatsächlich auf den Fersen ist. Er sollte wissen, dass ein Held an deiner Seite ist.«
    »Ein Held, der nur mit dressierten Ungeheuern kämpft«, spottete sie. Doch ganz bestimmt hörte er das Lächeln in ihrer Stimme.
    »Gut, wenn du mir nicht zutraust, dich zu beschützen, sollten wir wohl doch lieber unter Leute gehen. Mal sehen …« Mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers schnippte er im Laufen eine der Münzen hoch in die Luft und fing sie mit dem Handrücken auf. »… Kopf: Sie lässt mich stehen. Zahl: Sie tanzt mit mir.«
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