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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz
Autoren: Nina Blazon
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murmelte Ana, die gerade die Verschnürungen an Summers Kostüm löste. Man konnte hören, dass sie bei diesen Worten feixte.
    Mort schnaubte verächtlich. »Text hin, Text her, Summer hätte reagieren müssen. Wenn ich will, dass jemand seine paar Sätze nur hilflos herunterstammelt, dann hätte ich auch irgendeine aus dem Hafenviertel auf die Bühne stellen können.«

    Mia rollte genervt mit den Augen. Diesen Spruch kannten sie alle zur Genüge.
    »Dann such dir eben eine aus dem Hafenviertel«, brauste Summer auf. »Immerhin hätten die betrunkenen Idioten da draußen dann etwas zu gaffen. Und nur darum geht es doch in diesem Stück, oder nicht?«
    An manchen Tagen fiel es ihr leicht, ihre Rolle zu spielen: das allzu stolze Mädchen von den südlichen Inseln, das sich nichts bieten ließ. Doch heute fiel ihr sogar diese einfache Übung unendlich schwer. Viel zu verstört war sie selbst noch. Es hat nichts zu bedeuten , wiederholte sie wie ein Gebet. Es war nur der Anblick der Handschuhe. Eine kurze Irritation. Dennoch wunderte sie sich immer noch, wie sie den Rest der Vorstellung hinter sich gebracht hatte. Während der Abschlussverbeugung hatte sie die Maske nicht abgenommen und fieberhaft jede Reihe abgesucht. Doch der Mann blieb verschwunden. Natürlich . Es war irgendein Zuschauer, der gegangen ist. Vermutlich hat er sich beim Aufstehen auf der Lehne aufgestützt, und du hattest das Pech, genau in diesem Moment hinzusehen. Das klang gut. Vernünftig. Aber warum beruhigte es sie nicht?
    »Auch noch frech werden!«, brüllte Mort. »Ich weiß überhaupt nicht, wofür ich dich bezahle! Du müsstest mir eine Entschädigung bezahlen, dafür, dass du mein Stück verschandelt hast!«
    »Nimmst du auch Trinkgeld? Bei dem, was du mir bezahlst, würde die Entschädigung nämlich ziemlich gering ausfallen.«
    »Wenn das alles ist, was du am Theater in Kanduran gelernt hast, dann bezahle ich dir noch viel zu viel!«
    Summer schnaubte. »In Kanduran wurde jedenfalls darauf geachtet, dass keine Verrückten in der vorderen Reihe sitzen. Sag bloß, du hast den fetten rothaarigen Kerl nicht gesehen, der mich
angestarrt hat wie ein Wahnsinniger? Und weißt du, was? Er hatte ein Messer unter seiner Jacke versteckt! Da würde euch auch der Text im Hals stecken bleiben!«
    Ana verging das Grinsen auf der Stelle, und sogar Mort wurde blass. Finn sah so erschrocken aus, dass Summer die Augen niederschlug. Lügen kann ich immer noch am besten . Manchmal war es ihr ein Rätsel, wie leicht sie die Leute dazu bringen konnte, ihr Glauben zu schenken.
    Sie wollte sich eine Strähne hinter das Ohr streichen, doch als sie bemerkte, wie sehr ihre Hand zitterte, ließ sie es bleiben. Stattdessen stand sie auf, zerrte sich das Überkleid von den Schultern und zupfte sich die goldenen Libellen grob aus dem Haar. »In Kanduran war ich Schauspielerin«, rief sie mit genau der richtigen Portion Gekränktheit. »Hier dagegen sind wir doch alle nur deine Marionetten, Mort - Darstellervieh und Freiwild für das sogenannte Publikum.«
    Obwohl Mort knallrot anlief und schon Luft holte, um sie anzubrüllen, spürte sie, dass sie längst gewonnen hatte.
    »He, es reicht jetzt wirklich!«, mischte sich Mia nun auch prompt ein. »Lasst es doch endlich gut sein. Ihr beide! Fehler passieren. Auch dir, Mort. Mir. Finn. Uns allen.«
    Mort stieß einen wüsten Fluch aus und wischte sich unwillig mit dem Handrücken über die Stirn. »Nicht heute«, sagte er heiser. »Nicht heute!« Mit einem Mal sah er müde und faltig aus und Summer fragte sich, wie viel es den alten Dompteur wohl kosten mochte, Nacht für Nacht den strengen, mürrischen Direktor zu spielen. So viel, wie es mich kostet, mich zu Tode zu fürchten und es nicht zu zeigen?
    Mort stritt nun mit Mia über die Kontrollen an der Tür herum, doch seine Wut machte langsam der Erschöpfung Platz. Die
Truppe musterte ihn aufmerksam. Sorge spiegelte sich in ihren Zügen, den zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelten Stirnen. In diesem Augenblick liebte Summer all diese Menschen so sehr, dass es schmerzte. Sie mochten sich streiten, sich hassen und gekränkt sein, aber in dem kleinen Kosmos ihrer verbundenen Leben ging niemand verloren. Sie sind eine Gemeinschaft. Noch während sie diese Worte im Kopf formte, fiel ihr auf, dass sie nicht länger wir dachte. Doch noch konnte und wollte sie sich nicht eingestehen, was das bedeutete.
    Sie verschränkte die Arme und drückte die Fäuste in ihre
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