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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz
Autoren: Nina Blazon
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Ohne hinzusehen, hielt er ihr die Hand hin. »Zahl, stimmt’s?« In seinen Augen blitzte trotz seiner Schüchternheit wieder das Schaustellerlachen. »Komm schon, Summer! Eine Stunde deiner Zeit, vielleicht auch nur eine halbe. Eine Runde Tanzen, ein Glas Wein. Danach begleite ich dich, wohin du willst. Und wenn du sagst: Hau ab!, dann werde ich gehen.« Summer war stehen geblieben und sie waren einander so nah, dass er mit einem gestohlenen Kuss leichtes Spiel gehabt hätte. Doch hier, ohne die Maske, wahrte er den Abstand. Und Summer stellte fest, dass es ihm wirklich ernst war. »Du hast mich schon so oft versetzt,
dass ich dich kein weiteres Mal fragen werde«, sagte er. »Eine halbe Stunde nur - ist das wirklich zu viel verlangt?« Als hätte ein Bühnenmeister den Einsatz gegeben, erklang eine altertümliche Flötenmelodie aus einer Kneipe. Ein paar Leute brachen in Gelächter aus und sangen die erste Strophe des ältesten Maymarer Liedes mit - ein musikalischer Ausflug in die Vergangenheit der Stadt, der Touristen jedes Mal aufs Neue begeisterte:
    Mein Lieb’ hat einen Karpfenmund,
’ne Nase wie ein Meereshund.
Ihr Lachen lockt die Möwen an,
doch wie die Süße küssen kann!
    Finn sah sie immer noch ernst an, doch er ließ dabei ein paar Münzen leise im Takt klimpern. Warum nicht? , begehrte eine trotzige Stimme in ihr auf. Warum nicht wenigstens eine Stunde lang einfach nur glücklich sein?

katzenleben
    M aymara glich einem leichten Mädchen, das tagsüber hochgeschlossene Kleider trug und so tat, als wäre es eine brave, sparsame Alles in dieser Stadt erfüllte einen Zweck. Die Häuser waren schmucklos, schmal und hoch gebaut, mit winzigen Fenstern und massiven Wänden, die den Sturmfluten im Winter und den Überschwemmungen trotzten. Die Wohnhäuser der Hafenarbeiter waren mit dem billigen, hellen Blau gestrichen, das aus weggeworfenen Muschelschalen gewonnen wurde. Die Häuser der Reichen zierte dagegen die teure Steinfarbe, die sich mit der Temperatur der Luft veränderte - morgens eisblau war, mittags in der Sonnenhitze rotbraun. Geräumige Lagerhallen säumten die inneren Stadtbezirke und den buchtartigen Hafen wie gestrandete Wale.
    Aber es gab auch das pulsierende, wilde Herz der Stadt, die nachts ganz anders war, als sie sich tagsüber gab: Auch heute trug das kleine Altstadtviertel am Hafen ein Festgewand aus Laternen und Bannern. Wetten liefen an jeder Ecke. An Ständen gab es geröstete Kalmare, Schnaps - und Perlmuttmasken für die Leute, die lieber nicht in diesem Viertel erkannt werden wollten. Summer und Finn traten zu einer kleinen Gruppe von Musikern, die direkt am Hafenrund unter freiem Himmel aufspielte.
Frauen mit Sirenenmasken sangen lauthals und trunken mit, während die Männer den Takt klatschten. Summer sah sich ein letztes Mal beunruhigt um, doch niemand hier beachtete sie, niemand trug Handschuhe, nichts erinnerte sie mehr an ihren Traum.
    Es blieb nicht bei einer halben Stunde. Und auch nicht bei einer ganzen. Sie verließen den Hafen erst, nachdem der letzte Musiker seine Gitarre eingepackt hatte. Summers Welt tanzte immer noch und der Nachgeschmack des schweren Weins ließ jeden Atemzug süß schmecken. Finn und sie hielten sich an den Händen. Und seltsamerweise war es in dieser Nacht einfach, sich in diese Vertrautheit fallen zu lassen. Hier und jetzt waren sie nur ein Paar, das durch die Gassen schlenderte - nach Hause vielleicht, oder in ein fremdes Bett, das wenig kostete.
    »Wohin jetzt?«, fragte Finn. Je mehr sie sich vom Hafen entfernten, desto leiser sprachen sie, bis sie schließlich flüsterten. Summer deutete nach Süden, wo sich die schäbigen Hochhäuser des äußersten Stadtbezirks vor den Uferbergen erhoben. Finn pfiff leise durch die Zähne. »Du wohnst ja wirklich in einer Gegend, in die nicht mal Mort einen Fuß setzen würde.« Irgendwo hinter ihnen durchstöberten einige streunende Katzen offenbar die Mülleimer, doch diesmal erschrak Summer nicht. Vielleicht lag es am Wein, aber der Traum war zu einem Schatten verblasst, der Mond keine Leichenfratze mehr, eher ein müde lächelnder Mann, der mit sachtem Spott die letzten Nachtschwärmer betrachtete.
    »Komm«, raunte Summer Finn zu. »Nehmen wir die Abkürzung. Da ist es sicherer als auf der großen Straße.«
    Ihr Schritt war lautlos, als sie in den Schleichweg einbogen, der sie im Bogen zu ihrem Wohnviertel führen würde. Unter ihren
Sohlen spürte sie die Rillen, die die Austernkarren in den
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