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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz
Autoren: Nina Blazon
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würde. Unmerklich wurde sie langsamer, kostete jeden Atemzug seiner Gegenwart aus und kam sich dabei vor wie eine Diebin.
    »Und … hast du Mort auch dazu gebracht, zu glauben, dass du wirklich Summer heißt?«, fuhr Finn nach einer Weile fort.
    »Ich heiße so! Ich trage immer den Namen meiner Rolle. Das …«
    »Aber wie ist dein richtiger Name? Der, den deine Eltern dir gegeben haben?«

    Die letzte Wärme des Weins verflog. Es war immer dasselbe. Für einige Wochen vergaß sie ihre Einsamkeit und sogar die Tatsache, dass sie niemand war. Wochen, in denen sie zu jemandem wurde, in denen sie »wir« sagte, als wäre es nichts Besonderes. Bis sie begannen, Fragen zu stellen. Und Fragen stellten sie immer.
    »Was ist mit dir? Heißt du wirklich Finn, oder ist das dein Schauspielername?«
    Abrupt blieb er stehen und hielt sie zurück. Am Kreuzungspunkt zwischen Gasse und Querstraße verharrten sie.
    »Siehst du? So geht es immer.« Plötzlich schwangen Ungeduld und Ärger in seinem Tonfall mit, Regungen, die sie an ihm nicht kannte. »Früher oder später lenkst du ab und bringst die Leute zum Reden, bis sie vergessen, was sie von dir wissen wollten.«
    Sie lachte leise. »Die Leute reden nun mal am liebsten über sich.«
    »Ich nicht! Wenn ich eine Frage stelle, dann meine ich es ernst. Und bei dir meine ich es ernster als bei allen anderen. Immerhin weiß ich, dass du Wein trinkst, als hättest du ihn noch nie gekostet, und so vorsichtig tanzt, als würdest du nicht wagen, glücklich zu sein. Und ich weiß, dass du Leute wie Mort mehr magst, als du jemals zugeben würdest, auch wenn du dich über alles und jeden lustig machst. Aber deinen Namen weiß ich nicht. Ich meine die Frage also völlig ernst: Wie heißt du?«
    »Er klingt ganz ähnlich wie mein … mein Bühnenname.«
    »Sunija? Sumal? Sag schon!«
    »Sulamar«, antwortete sie auf gut Glück. Ist das überhaupt ein Inselname?
    Doch Finn schien ihr zu glauben. »Sulamar aus Tuvaló also. Und … was ist dir zugestoßen, Sulamar? Warum hast du das berühmte
Theater verlassen, um ausgerechnet nach Maymara zu gehen?«
    Sie wollte ihm ihre Hände entziehen, doch er hielt sie fest - sanft, aber mit Nachdruck. Seine Augen konnte sie nur erahnen: ein nächtliches Meer, unter dessen glatter Oberfläche glänzende Fische schwammen.
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, fuhr sie ihn an. »Soll das ein Verhör werden? Vielleicht war es nur die Sehnsucht nach einem Abenteuer. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet bei Mort …«
    » Du bist eine Abenteurerin?« Jetzt war es an Finn, spöttisch zu klingen. »Ich sehe etwas anderes, wenn ich dich beobachte: eine junge Frau, die sich häufig umblickt und es selbst nicht bemerkt. Sie scheint ständig auf der Hut zu sein. Sie lässt sich nicht gern berühren und sie hatte heute Angst vor einem Mann mit einem Messer. Ist sie von der Insel geflohen? Vor einem Geliebten? Einem Bräutigam? Einem Mörder?«
    Die letzte Schicht der Lüge, an die sie selbst am innigsten glauben wollte, löste sich auf.
    »Vielleicht«, sagte sie zögernd. »Vielleicht ist es, wie du sagst, und vielleicht auch ganz anders.« Und ob du es glaubst oder nicht, Finn, das ist zur Abwechslung mal die Wahrheit.
    »Sulamar«, flüsterte Finn mit einer Zärtlichkeit, die ihr die Kehle zuschnürte. »Was auch immer dir zugestoßen ist - du sollst wissen, dass du mir vertrauen kannst.«
    Bisher hatte Summer sich noch eingeredet, dass sie Zeit haben würde, sich zu verabschieden. Aber nun erkannte sie, dass sie längst zu weit gegangen war. Sie konnte nicht bleiben. Keine Woche mehr und auch keinen Tag. Die Zeit bei Mort endete für sie hier und heute. Die Einsamkeit unzähliger Nächte und Tage
fiel auf sie zurück. Jeder Abschied, jede Minute, in der ihr bewusst geworden war, dass sie verloren war, lebendes Treibgut der Städte. Es war so leicht, jemand zu werden, und so schwer, jemand zu bleiben. Früher oder später zerrannen ihr die eigenen Gestalten zwischen den Fingern. Und zurück blieben Rauch und die Asche einer verbrannten Existenz.
    Die Gasse schien dunkler geworden zu sein, schäbiger, die Geräusche nackter. Aber noch hing das Glück der letzten Stunden in der Gasse wie Rauch, kurz davor, zu vergehen. Die letzten Sekunden, in denen sie tatsächlich ein Mädchen aus Tuvaló war, das ins Abenteuer aufgebrochen war und sich hier in einen sanften, aufrichtigen Mann verliebt hatte. Es gehört mir!, begehrte sie mit einem wütenden Trotz auf.
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