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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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langweilig.
    »Tut mir leid wegen deines Koffers«, sagte er, aber es klang nicht besonders mitfühlend. »Ich hab’s gehört, ich stand hinter dir.«
    »Hast du ihn kaputt gemacht?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Dann braucht’s dir auch nicht leidzutun.«
    Sie unterzog ihn einer Begutachtung, weil er ihr keine andere Wahl ließ. Die Jalousie zur Vorderreihe war noch nicht erfunden. Und er machte keine Anstalten, sich wieder hinzusetzen.
    Er sah nicht sehr sizilianisch aus, auch wenn man ihm anhörte, dass er auf der Insel aufgewachsen war. Vielleicht war er nur froh, die Sprache wieder benutzen zu können, und betonte deshalb den Dialekt. Sie erinnerte sich jetzt, dass sie ihn schon am Flughafen in New York gesehen hatte. Ferien bei Verwandten, vielleicht. Oder Rückkehr nach einem Auslandssemester. Allerdings war er nicht viel älter als sie. Demnach konnte er noch keine italienische Uni besuchen. Vielleicht war es umgekehrt: Er ging in den Staaten aufs College und besuchte seine Familie in Italien.
    Sein Gesicht kam ihr vertraut vor, auch wenn sie nicht hätte sagen können, ob sie ihm vor der Abreise schon einmal begegnet war. Eine schmale gerade Nase, dichte dunkle Brauen. Ein Aufblitzen von Zynismus in seinen Augen und um seine Mundwinkel. Er hatte winzige Grübchen, auch ohne zu lächeln. Seine Haut besaß einen leichten Goldton, ganz im Gegensatz zu ihrer eigenen. Rosa wurde niemals braun, trotz ihres italienischen Vaters. Den irisch-amerikanischen Teint hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Nichts sonst, hoffte sie inständig.
    Sein dunkelbraunes Haar sah aus, als wäre er eben erst mit den Händen hindurchgefahren. Die strubbeligen Strähnen umrahmten ein Gesicht, das sie jetzt, als sie in Gedanken einen Schritt zurücktrat, darauf brachte, dass er etwas Aristokratisches an sich hatte. Nicht, dass sie Adelige von irgendwoher alsaus dem Fernsehen kannte. Aber das Wort fiel ihr unwillkürlich zu ihm ein. Noch eine Spur mehr Symmetrie, ein wenig mehr Ebenmaß und Perfektion, dann wäre er beinahe zu schön gewesen, auch wenn sich seine Züge in den nächsten zwei, drei Jahren noch entwickeln mochten, vielleicht ein wenig rauer und härter wurden.
    »Störe ich dich beim Lesen?« Er deutete auf das eingerollte Magazin, das sie zwischen Armlehne und Bordwand geschoben hatte. Sie kannte nicht mal den Titel. Sie hatte einfach eines von den Stapeln am Einstieg genommen, nur weil sie da lagen. Ihr üblicher Impuls.
    »Nein«, sagte sie, zog das Heft aber hervor und legte es auf ihren Schoß.
    »Interessant?«
    Das amüsierte Blitzen in seinen Augen ließ sie seinem Blick auf das Titelbild folgen. Ein Ratgebermagazin für Männer. Zehn Tricks, um SIE glücklich zu machen stand als Aufmacher unter dem Foto eines Paares, beide wie aus Wachs gegossen. Und klein gedruckt: So bekommt SIE nie genug.
    Rosa sah zu ihm auf. »Ich schreibe für die. Tipps und Erfahrungsberichte. Jemand muss es ja machen.«
    »Ich soll dich in Ruhe lassen, oder?«
    »Dann würde ich sagen: Kümmer dich um deinen Kram.«
    Sein Blick wurde schattig. Er drehte sich um und wollte sich setzen.
    »Hey«, sagte sie.
    Er schaute über die Schulter.
    »Warum fliegst du nach Sizilien?«
    »Familienangelegenheiten.«
    Damit verschwand er aus ihrem Blickfeld. Sie hörte, wie er sich auf seinem Sitz zurechtrückte. Seine Rückenlehne vibrierte leicht gegen ihre Knie und erzeugte ein ganz sanftes Kribbeln in ihren Beinen. Zugleich bekam sie eine Gänsehaut.
    Sie schlug das Magazin auf und studierte die zehn Tricks.
    Glücklicher machte sie das nicht.
    s
    Während der Landung in Palermo erspähte sie durch den Spalt zwischen den Vordersitzen, wie die Adern und Sehnen auf seinem Handrücken hervortraten. Seine Finger waren fest um die Armlehne geschlossen. Er hatte schmale, gebräunte Hände mit gepflegten Nägeln. Auf der anderen Seite seines Sitzes, zur Bordwand hin, schaute ein Stück seiner Lederjacke hervor. Rosa musste sich nicht einmal anstrengen, um in die Seitentasche zu blicken.
    Einen Moment später hielt sie seinen Reisepass in den Fingern. Alessandro Carnevare. Acht Monate älter als sie, in ein paar Wochen würde er achtzehn. Geboren in Palermo. Seine Postanschrift war auffällig: Castello Carnevare. Genuardo. Keine Straße und Hausnummer. Den Namen des Ortes hatte sie nie gehört, aber das bedeutete nichts. Sie war vier gewesen, als ihre Mutter sie mit nach Amerika genommen hatte. Seitdem war sie nicht mehr auf Sizilien gewesen.
    Alessandro
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